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Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten der Automobilindustrie

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Online-Seminar: Rohstoffe im Fokus

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Ran an den Stoff! - Wie die EU-Handels- und Rohstoffpolitik Entwicklung untergräbt

23.01.2011: Der große Wettlauf um die weltweiten Rohstoffe ist eröffnet. Plötzlich scheinen sie nicht mehr billig und unendlich, sondern knapp, teuer und umkämpft. Und wer die Spielregeln bestimmt, ist klar im Vorteil.

Die Industrie ruft, die Europäische Union springt: Die Rohstoffstrategie

Angesichts der zunehmenden Wettbewerber um die Rohstoffvorkommen der Welt riefen Industrievertreter in Europa nach mehr staatlicher Rohstoffpolitik. 2006 stellte die deutsche Bundesregierung ihre "Elemente einer Rohstoffstrategie" gemeinsam mit dem BDI vor. Und auch suchte die EU neue Wege, ihren Unternehmen und Investoren einen besseren Zugang zu Rohstoffen in Entwicklungsländern zu verschaffen. Im November 2008 präsentierte der EU-Vizepräsident Günter Verheugen (SPD) die "Raw Materials-Strategy" der EU. Diese Strategie basiert auf drei Säulen: Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen auf den Weltmärkten, Förderung von Rohstoffen aus europäischen Quellen und Reduzierung des europäischen Verbrauchs primärer Rohstoffe. Während die Maßnahmen der letzten Säule eher vage Absichtserklärungen sind, wird man bei der Exploration und Nutzung von Rohstoffen hierzulande schon konkreter, so soll z.B. die Förderung in Naturschutzgebieten ermöglicht werden. Genaue Maßnahmen und Ziele finden sich in der ersten Säule: Unter dem Titel "aktive Rohstoffdiplomatie" sollen die verschiedenen Bereiche der EU-Außenpolitik wie Außenbeziehungen, Handel, Entwicklung, Sicherheit usw. koordiniert werden, um den "diskriminierungsfreien Zugang" zu Rohstoffen sichern.

Diese europäischen Interessen sollen mittels neuer bilateraler Freihandelsabkommen (FTA), z.B. mit Korea, Indien, Peru/Kolumbien oder Mittelamerika durchgesetzt werden. Auf die AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) wird in den Verhandlungen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) Druck ausgeübt. Neben der Marktöffnung für den Güterhandel geht es vor allem um die Liberalisierung von Dienstleistungen und Investitionen, Wettbewerbspolitik sowie den Schutz geistigen Eigentums. Damit passt die Rohstoffstrategie perfekt ins Bild eines "wettbewerbsfähigen Europas in einer globalen Welt", welches 2006 mit der "Global Europe"-Agenda entworfen wurde und mit der Mitteilung "Handel, Wachstum und Weltgeschehen" der Kommission vom 9 November 2010 nahtlos fortgesetzt wird.

  

Demnach stellt die große Importabhängigkeit von "strategisch wichtigen Rohstoffen" wie den Hightech-Metallen Kobalt, Platin und Titan, seltenen Erden, aber auch von anderen Ressourcen wie Holz, Chemikalien oder Fellen und Häuten ein Risiko für die europäische Wettbewerbsfähigkeit dar. Hauptproblem beim Zugang zu diesen Stoffen sind laut der Kommission staatliche Maßnahmen, die den internationalen Rohstoffhandel verzerren. Hierbei werden ausdrücklich Ausfuhrsteuern und restriktive Investitionsregeln genannt. Allen voran China, Russland, die Ukraine, Argentinien, Südafrika und Indien stehen auf der Liste derer, die zu diesen Mittel n greifen. Aber auch andere Entwicklungsländer, insbesondere die rohstoffreichen Länder in Afrika und Südamerika werden genannt.

Keine Hindernisse: Ausfuhrsteuern begrenzen

Ausfuhrsteuern sind kein Allheilmittel, doch sie können eine entscheidende Rolle für die Entwicklung wettbewerbsfähiger Industrien sowie beim Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen spielen. Darüber hinaus können sie Einnahmen für öffentliche Aufgaben generieren. Durch die Besteuerung der Ausfuhr bestimmter Rohstoffe können junge weiterverarbeitende Industrien vor Ort einen komparativen Wettbewerbsvorteil erlangen und temporär vor Konkurrenz geschützt werden. Weiterverarbeitung und Fertigung sowie damit verbundene Dienstleistungen zu fördern, ermöglicht Entwicklungsländern, sich aus ihrer Abhängigkeit als reine Rohstofflieferanten zu befreien.

Seit 2005 erhebt die Regierung Kenias zum Beispiel auf den Export von unverarbeiteten Fellen und Häuten eine 40%ige Steuer. Seitdem boomt der Lederexport. Tausende neuer Arbeitsplätze sind direkt in der Lederindustrie entstanden und die Einkommen weiterer 40.000 Menschen haben sich erhöht. Insgesamt sind die Einkünfte in diesem Sektor um mehr als 8 Mio. Euro gestiegen.

Trotz alledem sind Ausfuhrsteuern der EU ein Dorn im Auge. Wenn europäischen Konzerne weniger Rohstoffe zu ggf. höheren Preisen zur Verfügung stehen, heißt es schlicht: Wettbewerbsverzerrung. In den laufenden bilateralen Verhandlungen versucht die EU daher, Ausfuhrsteuern gänzlich zu verbieten oder zumindest die Möglichkeiten der Nutzung massiv einzuschränken.

Keine Pflichten: Bahn frei für europäische Investitionen

Die ökonomisch erfolgreichsten Länder, inklusive der meisten EU-Staaten, haben in der Vergangenheit ausländische Direktinvestitionen begrenzt. Nichtsdestotrotz drängt die EU auf eine tiefgreifende Liberalisierung der Investitionspolitik und den maximalen Schutz für europäische Investoren weltweit. Dabei möchte sie im Wesentlichen drei Prinzipien verankern:

  • Inländerbehandlung: Dadurch erhalten ausländische Investoren dieselben Rechte wie einheimische. Dies nimmt Entwicklungsländern die Möglichkeit, lokale Investoren zu bevorzugen oder ausländische Investitionen in gewissen Sektoren zu verbieten.
  • Investorenschutz: Hier sollen Mindeststandards für die Behandlung von Investoren festgelegt werden, die durch internationale Schiedsgerichte abgesichert werden. Damit erhalten die Investoren mehr Rechte als die Regierungen des Gastlandes oder betroffene Gemeinschaften vor Ort.
  • Ungehinderter Kapitalfluss über Staatsgrenzen hinweg: Damit können Investoren ihre Gewinne weitestgehend uneingeschränkt ins Ausland transferieren. Regierungen können Kapitalabflüsse kaum noch begrenzen oder die eigene Zahlungsbilanz stützen - beides wichtige Instrumente zum Schutz der Volkswirtschaften gegen spekulative Kapitalbewegungen und Finanzkrisen.

Gerade in Rohstoffsektoren wie im Bergbau oder der Öl- und Gasförderung ist die Liste der Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung und Missachtung von Arbeits- und Sozialstandards lang. Mithilfe von Sondersteuerabkommen sichern sich transnationale Konzerne riesige Gewinne, während die Staatskasse leer ausgeht. Technologietransfer ist eher eine Ausnahmeerscheinung und lokale Arbeitskräfte finden kaum Beschäftigung.

Aus diesen Gründen müssen sich Regierungen und Parlamente die Möglichkeit erhalten, Investitionen zu regulieren: Erstens um Anreize für Investitionen zu schaffen, die die Entwicklung des Landes fördern und zweitens um alle Investoren Einhaltung der ArbeitnehmerInnen-, Umwelt-, und Menschenrechte sowie anderer Standards zu zwingen. Doch während die EU von Regierungen rechtlich verbindliche Abkommen über Investitionen fordert, genügen bei Unternehmen freiwillige Verpflichtungen zur Einhaltung globaler Standards.

Gehandelt wird woanders

  

Die EU hat zusammen mit der Wirtschaft die Rohstoffstrategie entwickelt und drängt außenwirtschaftspolitisch auf immer mehr Freihandel mit Rohstoffen. Die neuen Vorschläge beschneiden die politischen Handlungsspielräume der Entwicklungsländer, wodurch sich die Abhängigkeit von Exporten unverarbeiteter Rohstoffe noch stärker verfestigt. Während die EU den Unternehmen mehr Rechte zusichert, werden Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen durch europäische Unternehmen nicht wirksam angegangen.

Alles in allem lenkt die Rohstoffstrategie von den eigentlich wichtigen Zielen ab: Den übermäßigen Ressourcenverbrauch in Europa massiv zu reduzieren und ein gerechtes globales Systems zur nachhaltigen Nutzung der weltweiten Ressourcen aufzubauen. Ressourcengerechtigkeit bedeutet auch, allen Menschen weltweit das gleiche Recht zur Nutzung der natürlichen Ressourcen einzuräumen. Der durchschnittliche Ressourcenverbrauch pro Kopf ist in Europa dreimal so hoch wie in Asien und über viermal höher als in Afrika. Statt mit der neuen Strategie den Druck im Wettlauf um die weltweiten Rohstoffe weiter zu erhöhen, benötigen wir einen Transformationsprozess des Wirtschafts- und Energiesystems in der EU, um den Ressourcenbedarf drastisch zu senken.

Dieser Artikel von Nicola Jaeger ist im Rundbrief 04/2010 des Forums Umwelt und Entwicklung erschienen und basiert auf dem Bericht "Die neue Jagd nach Ressourcen - Wie die EU-Handels- und Investitionspolitik Entwicklung bedroht" von Mark Curtis, herausgegeben von WEED e.V., Oxfam Deutschland e.V., Traidcraft Exchange, Comhlamh und AITEC. Dezember 2010.