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Studienfahrt "Brüssel - Macht - Handelspolitk" 4.-7.10.2009

13.10.2009: WEED u.a. organisierten eine handelspolitische Studienfahrt nach Brüssel. Eindrücke von Andreas Lehrner

  
 

Führung durch das EU-Parlament

Eine 20-köpfige Gruppe aus NGO-, Partei- und GewerkschaftsvertreterInnen sowie JournalistInnen und einem Mitglied einer Bildungseinrichtung besuchte 3 Tage lang jene Institutionen, in denen die Grundzüge der europäischen Handelspolitik beschlossen werden und diskutierte mit deren VertreterInnen. Doch um einen tieferen Einblick in die dort gefällten Entscheidungen zu bekommen, waren Gespräche mit Lobbyisten, NGO-Vertretern, Gewerkschaftern sowie Angehörigen von EU-Verhandlungspartnern ebenso wichtig. Unterm Strich blieben Eindrücke von eklatanten Ungleichgewichten in der institutionellen Machtbalance der EU; von der Dominanz von unhinterfragter Freihandelslehre und Konzerninteressen sowie von Strategien marginalisierter Akteure, zumindest ein wenig Einfluss auf die Ausgestaltung der Handelspolitik auszuüben.

Eine 30minütige Radiosendung über die Studienfahrt mit Schwerpunkt Lobbying sowie Gesprächen mit Teilnehmern finden Sie unter www.radioattac.at oder hier.

Eine Liste der Gesprächspartner, die wir auf der Studienfahrt getroffen haben, finden Sie ganz unten auf dieser Seite.

Wer hat die Macht in Brüssel?

  
 

Lobbying wird oft nicht an die große Glocke gehängt

Wenn man die institutionelle Seite der EU-Handelspolitik betrachtet, fällt die Antwort recht eindeutig aus: die Macht liegt beim Rat, also den Mitgliedsstaaten, sowie der Kommission. Artikel 133 des EG-Vertrags, der die Grundlage der EU-Handelspolitik darstellt, regelt die Zuständigkeiten folgendermaßen: Die Kommission bringt Gesetzesinitiativen ein, nachdem der Rat vorher Zielvorgaben definiert hat. Dann beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit über die Annahme dieser Initiativen. Für die Durchführung der Handelspolitik sowie die Vertragsführung mit Drittstaaten ist wieder die Kommission zuständig (genauer die Generaldirektion Handel). Insbesondere der 133er-Ausschuss der Genraldirektion Handel (benannt nach dem oben genannten Artikel des EG-Vertrags) besitzt eine enorme Machtfülle. Er tagt einmal pro Woche geheim und arbeitet die EU-Handelspolitik aus. Gerechtfertigt wird die Geheimhaltung durch die andernfalls fehlende Verhandlungsmacht, wenn Sitzungen öffentlich gemacht würden (so etwa Bierbrauer von der deutschen Vertretung oder Lange von der SPE). Der Verdacht, dass man sich durch die Geheimhaltung Informationsvorsprung sichern und unangenehmen Nachfragen ausweichen will, liegt jedoch nahe.

Trotz Wirtschaftskrise lassen die VertreterInnen der Kommission, mit denen wir sprechen durften, keine Anzeichen eines Umdenkens erkennen. Die Freihandelsdoktrin scheint hier nach wie vor tief verankert zu sein. Das WTO-System habe sich in der Krise extrem gut bewährt, meint ein Mitglied der Generaldirektion Handel, das globale Regelsystem des Handels habe 30er-Jahre-Zustände verhindert. Freihandel sei im Interesse der Welt. Vor allem aber, so möchte man ergänzen, ist er im Interesse von europäischen Konzernen, die dadurch zu günstigen Rohstoffen kommen oder neue Absatzmärkte erschließen. Sind Lobbyisten die eigentlichen Drahtzieher hinter der EU-Handelspolitik? Marc Maes von der NGO 11.11.11. verneint dies zumindest teilweise. Vielmehr würde teilweise die Kommission selbst an die Unternehmen herantreten und sie nach ihren Wünschen fragen. Die Unternehmen seien oft viel pragmatischer als die Kommission, die aus Ideologie handle. Sie würde ihre Rolle als Dienstleister für die Unternehmen begreifen, da sie tatsächlich fest an die positiven Effekte des Freihandels glaube.

Das EU-Parlament zwischen Hoffnung und Ohnmacht

  
 

Helmut Scholz (GUE/NLG), Peter Fuchs

Dieser Machtfülle steht ein großteils machtloses Parlament gegenüber. Ihm steht nicht einmal ein Anhörungsrecht zu. Dennoch gibt es Parlamentsausschüsse, die zu Handelsfragen arbeiten, Berichte verfassen und Stellungnahmen abgeben. Vor allem ist dies der Außenhandelsausschuss (INTA) des Parlaments, er ist zuständig für die Festlegung und Durchführung der gemeinsamen Handelspolitik und der EU-Außenbeziehungen, für ihn sind die meisten der im Rahmen der Studienfahrt besuchten ParlamentarierInnen tätig. Die Treffen fanden wenige Tage nach dem irischen Referendum über den Lissabon-Vertrag statt, nach dem irischen "Ja" rückte die baldige Annahme des Vertrags in greifbare Nähe. Angesichts des Kompetenzgewinns des Parlaments in der Handelspolitik (das Parlament würde bei Annahme des Lissabon-Vertrags per Mitentscheidungsverfahren in die Ausformulierung der Handelspolitik einbezogen) ist die Hoffnung der Parlamentarier auf Lissabon verständlich. "Von Null auf Hundert" würden die Parlamentskompetenzen in der Handelspolitik ansteigen, meinte etwa Konstantin von Wendt (EVP). Diese Einschätzung wird vom langjährigen Grün-Parlamentarier Martin Köhler nur bedingt geteilt. Die teilweise 1000seitigen Kommissionspapiere könnten die Parlamentarier aufgrund viel geringerer Personalressourcen unmöglich überblicken. Den paar Parlamentariern pro Fraktion, die zu Handelsfragen arbeiten, steht ein Riesenstab in der Generaldirektion Handel der Kommission gegenüber, daran würde auch Lissabon nichts ändern. Das Ressourcenproblem besteht im Übrigen nicht nur gegenüber der Kommission, sondern auch gegenüber Lobbys, die oft viel mehr Personal als das Parlament haben, erzählt Lange (SPE). Insgesamt entstand der Eindruck, dass das Parlament dem Lissabon-Vertrag mit Hoffnung entgegenblickt - was sich allerdings konkret für das Parlament ändern wird, scheint auch den Parlamentariern und ihren Mitarbeitern selbst nicht ganz klar zu sein. So meint etwa Scholz (GUE/NGL) es sei noch nicht klar, wann das Parlament in Zukunft in den Gesetzgebungsprozess eingebunden wird, klar sei nur, dass es eingebunden werden müsse.

Obwohl das Parlament derzeit relativ zahnlos scheint und ungewiss ist, was der Lissabon-Vertrag daran ändern wird, betonen dennoch einige unserer Gesprächspartner - auch wenn sie nicht fürs Parlament arbeiten - dessen Bedeutung. ParlamentarierInnen sind ein wesentliches Ziel von Lobbyisten, meint der einflussreiche Geschäftsführer des Verbands chemischer Industrie Reinhard Quick. Überhaupt sei das Parlament sogar besser informiert als seine Organisation - nach kurzer Pause ergänzt er, dass das auch gut sei, immerhin sei das Parlament ja unser aller demokratisch legitimierte Vertretung.

Die "Global Europe"-Strategie der EU

  
 

Reinhard Quick (Verband chem. Ind.), Peter Fuchs

Die GE-Strategie besteht im wesentlichen darin, mit Drittstaaten und Regionen Handelsliberalisierungsabkommen zu schließen. Diese Möglichkeit, auf bilateralem Weg Zölle und nicht tarifäre Handelshemmnisse aus dem Weg zu schaffen und Zugänge zu Rohstoffen zu sichern, wurde 2006 aus einem einfachen Grund ins Leben gerufen: man habe "die Nase voll gehabt von dem Stillstand in der DOHA-Runde der WTO" (Reinhard Quick). Statt Multilateralismus wird seither versucht, auf bilateralem Weg Verträge abzuschließen. Martin Köhler von den Grünen sieht darin eine Beschleunigung dessen, was schon die WTO gewollt habe - der reine Zollabbau wird durch die oben genannten Aspekte ergänzt. Zwar ist auch Sustainability in der Strategie enthalten, dieses Kapitel sei jedoch zahnlos. Ob die Strategie ein Erfolg ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Tatsache ist, dass bislang nur das Cariforum-EPA im Rahmen von GE erfolgt ist, und das vor dem Abschluss stehende Korea-Abkommen ist auch unter europäischen Wirtschaftsvertretern selbst sehr umstritten. Vor allem die Autoindustrie würde von zollfreien koreanischen Importen massiv getroffen. Köhler erzählt, dass laut einem ihm vorliegenden Geheimprotokoll einer 133er-Ausschusssitzung selbst die Hälfte der Vertreter der Generaldirektion Handel gegen das Korea-Abkommen ist. Die Branchen, die vom Vertrag profitieren (z.B. die Pharmaindustrie) würden die Verluste nicht aufwiegen. Offiziell spricht man in der Kommission dennoch davon, dass der Korea-Vertrag ein Zukunftsmodell sei. Marc Maes meint, die Hauptneuerung durch die "Global Europe"-Strategie sei die Einsicht, dass man auch manches opfern müsse und europäische Unternehmen auch Einschnitte erleben würden.

Das heißt freilich nicht, dass bei den im Rahmen der GE-Strategie geplanten Verträgen ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen bestünde. Davon können die Vertreter von Bolivien und Ecuador, die wir auf der handelspolitischen Studienfahrt getroffen haben, ein Liedchen singen. Ursprünglich war ein Vertrag mit den vier Andenstaaten (oben genannten mit Kolumbien und Peru) geplant. Von der EU wurden nicht nur eine Durchsetzung in Handelsfragen, sondern auch ein politischer Dialog sowie Kooperationen abseits von Handel in Aussicht gestellt. Davon war allerdings bald keine Rede mehr, übrig blieben nur die Handelsaspekte. Die kritischen Themen waren die Themen Dienstleistungen, geistige Eigentumsrechte, Investment und öffentliche Beschaffung. Bolivien wollte nicht einfach Zollreduktionen, sondern ein Benchmarking im Vertrag sehen: die Zölle sollten nur herabgesetzt werden, wenn gewisse Ziele erreicht würden. Die Position der EU dazu im Wortlaut, erzählten bolivianische Vertreter, sei dass der Vertrag ein Menü sei: Bolivien müsse von allem essen und dürfe nichts auslassen. Beide Länder wurden schließlich zum Ausstieg aus den Verhandlungen gedrängt, die Verhandlungen werden nun nur noch mit Kolumbien und Peru weitergeführt. Angesichts solcher Schilderungen stellt sich die Frage, wieso die Länder überhaupt einen Vertag mit der EU anstreben. Der ecuadorianische Vertreter Hidalgo meinte dazu, dass 1,5 der 20 Millionen Ecuadorianer vom Anbau von Bananen leben würden, ein Abkommen sei daher enorm wichtig. Außerdem gehe es um den Status der Vielzahl ecuadorianischer Migranten in EU-Staaten.

Trotz der Tatsache, dass die GE-Strategie alles andere als unumstritten ist, verteidigt die Vertreterin der deutschen Vertretung in Brüssel, Elfriede Bierbrauer, diese. Gerade in der Wirtschaftskrise seien Maßnahmen gegen Protektionismus erforderlich, die Behinderung des Fortschreitens der GE-Strategie bedauert sie.

Resümee

  
 

CEO-Stadtführung von Pia Eberhardt

Obwohl die EU-Handelspolitik (und wohl generell EU-Politik) nach den auf der Studienfahrt gewonnenen Eindrücken unflexibel, undemokratisch und ideologisch höchst bedenklich zu sein scheint, sehen dennoch auch marginalisierte Akteure ihre Chancen in Brüssel. Ob kleine Parlamentsfraktionen, NGOs oder Lobbyisten: sie alle versuchen, der Handelspolitik zumindest ein Stück weit ihren Stempel aufzudrücken. Die Strategien sind dabei trotz der gänzlich unterschiedlichen ideologischen Positionen recht ähnlich. Reinhard Quick hat folgendes Verständnis von Lobbying: man erfährt von Maßnahmen, man entwickelt eigene Argumente dazu und verfasst Positionspapiere, man versucht Einigungen mit anderen Akteuren zu erzielen und diese dann an die Politik zu verkaufen. Es geht also in den ersten Schritten um Informationsbeschaffung und Netzwerkbildung. Das gilt so auch für kritische NGOs. Beim "Verkauf an die Politik" allerdings sind viele mit ungleich größeren finanziellen Ressourcen ausgestattete unternehmensnahe Lobbys klar im Vorteil - vor allem, wenn die Kommission ihnen die Wünsche teilweise von den Lippen ablesen will. Dieses ungleiche Kräfteverhältnis kann wohl nur ausgeglichen werden, wenn entweder ein ideologischer Umdenkprozess in der Kommission einsetzt (was angesichts des immer deutlicher werdenden Versagens der neoliberalen Ideologie nicht ausgeschlossen scheint) oder eine Öffentlichkeit einen Politikwandel mit Druck einfordert. Dass dies funktionieren kann, zeigt der US TRADE Act (eine Initiative zur Änderung der US-Handelspolitik, die eine klare Absage an den Freihandel beinhaltet. Sie stößt auf einige Zustimmung im Kongress). Grundzüge einer alternativen EU-Handelspolitik werden momentan von NGOs und zivilgesellschaftlichen Akteuren ausgearbeitet - es bleibt zu hoffen, dass damit ein Diskussionsprozess über Handelspolitk ausgelöst wird.

Das umfangreiche Programm der Tour umfasste Treffen mit:

EU-ParlamentarierInnen und ihren MitarbeiterInnen:

  • Helmut Scholz (GUE/NGL): Mitglied des Ausschusses für internationalen Handel
  • (INTA)
  • Erik Otto (GUE/NGL): Mitarbeiter von Helmut Scholz
  • Bernd Schneider (GUE/NGL): Mitarbeiter von Helmut Scholz
  • Martin Köhler (Grüne): Internationaler Handel
  • Gaby Küppers (Grüne): Außenwirtschaftsbeziehungen/ WTO
  • Constantin von Wendt (EVP): Mitarbeiter von Godelieve Quisthoudt-Rowohl
  • Bernd Lange (SPE): Mitglied des Ausschusses für internationalen Handel (INTA)

Mitgliedern der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission (DG Trade):

  • Annette Grünberg: Trade Relations with South Asia, Korea and Asean
  • Jan Vollbracht: Global Europe Strategy
  • Nicola Dross: Raw Materials

GewerkschaftsvertreterInnen:

  • Jo Vervecken: Economic Advisor at the Féderation Générale du Travail Belgique (FGTB)
  • Wolf Jäcklein: Policy Adviser des EMB
  • Nina Johansson: UNIEuropa

Vertreter von Industrie- und Unternehmensorganisationen:

  • Eckart von Unger: BDI, Schwerpunkte: Welthandelsordnung und Welthandelsorganisation (WTO), Entwicklungspolitik, Transatlantik Business Dialogue (TABD)
  • Reinhard Quick: Geschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie e.V & Vorsitzender der Businesseurope Unterarbeitsgruppe "Handel und Umwelt"

MItgliedern von NGOs:

  • Doris Peschke: CCME (Churches Commission for Migrants in Europe), Vorstand von WEED
  • Jan Ceyssens: Vorstand von WEED
  • Marc Maes: Mitarbeiter der Koalition der Flämischen Nord-Süd-Bewegung 11.11.11., Bereich Handel
  • Anne Catherine Claude: EU Policy Officer bei Action Aid
  • Gustavo Hernandez: EU-CAN-Netzwerkkoordinator

Vertreter von Andenstaaten:

  • Jessica Ellis: Botschaft von Bolivien
  • Claudia Liebers: Botschaft von Bolivien
  • Ramiro Hidalgo: Second secretary, Mission of Ecuador to the EU

Außerdem trafen wir Elfriede Bierbrauer (Stellvertretende Leiterin der Abteilung Wirtschaft der ständigen Vertretung der BRD bei der EU, zuständig für Außen-wirtschafts¬politik und Handelspolitik) und erhielten eine Stadtführung mit Fokus auf Handelspolitik und Lobbying von Pia Eberhardt von Corporate Europe Observatory.


Weitere Bilder

     
 

Gruppenfoto handelspolitische Studienfahrt