WEED bei Anhörung zur Finanztransaktionssteuer
30.11.2011: WEED nimmt für die Kampagne "Steuer gegen Armut" mit einer Stellungnahme teil an der heutigen Anhörung im Bundestag zum Vorschlag der EU-Kommission.
In seiner Stellungnahme bewertet Peter Wahl von WEED den Richtlinien-Vorschlag vom 28. September 2011. Hier ist die Stellungnahme im vollen Wortlaut:
Der Richtlinienentwurf ist ein Durchbruch und in mehrfacher Hinsicht innovativ:
- Neben der Funktion Steuereinnahmen zu generieren, würde die FTS einen wichtigen Beitrag dazu leisten, destabilisierende Transaktionen, insbesondere im Bereich des Hochfrequenzhandels zu reduzieren. Die FTS ist daher ein Beitrag zur Erhöhung der systemischen Stabilität auf den Finanzmärkten.
- Mit dem Sitzlandprinzip wird zwar nicht hundertprozentig aber doch sehr weitgehend einem Erzübel auf den gegenwärtigen Finanzmärkten vorgebeugt: der Steuerumgehung und -verlagerung.
- Die Heranziehung des Nominalwertes des Underlying bei Derivaten als Steuerbasis ist ein wichtiger Schritt hin zur Regulierung dieses Sektors, der sich in der Krise als besonders gefährlicher Brandherd erwiesen hat.
- Mit der regionalen Vorreiterrolle trägt die Direktive der Tatsache Rechnung, dass globale Lösungen hier - wie auf so vielen anderen Feldern - als Folge von Komplexität und Interessenheterogenität so gut wie nicht erreichbar sind. Das Insistieren auf globalen Lösungen führt regelmäßig zu Handlungsblockaden. Fortschritte in der Problemlösung sind angesichts dessen nur durch Koalitionen von Gleichgesinnten möglich.
Die Implementierung der FTS kann dazu beitragen, die Transaktionsvolumina auf den Finanzmärkten zu schrumpfen und damit die Steuerungs- und Problemlösungsfähigkeit der Politik gegenüber außer Kontrolle geratenen Märkten wiederherzustellen.
Gerade in diesen Tagen erleben wir in geradezu dramatischer Weise , wie ein ganzen Kontinent zum Spielball irrationaler Marktkräfte wird. Insofern ist die FTS auch ein Beitrag dafür, die Erosion der Demokratie, die durch die Globalisierung der Finanzmärkte entstanden ist, zu bremsen. Nachbesserung nötig. Auch wenn die Richtlinie in der Substanz die Unterstützung der Zivilgesellschaft hat, so besteht aus unserer Sicht dennoch Nachbesserungsbedarf in folgenden Punkten:
1. die Ausnahmeregelung für Spottransaktionen bei Devisen würde dazu führen, dass ein beträchtliches Einnahmepotential und ein regulatorischer Effekt verschenkt werden. Wir schließen uns daher der Position der Bundesregierung und der französischen Regierung an, die - wie in dem gemeinsamen Brief der Finanzminister vom 9.9.2011 formuliert - alle Devisentransaktionen umfassen. Das rechtliche Argument, dass damit die im EU-Vertrag verankerte Kapitalverkehrsfreiheit behindert würde, ist unzutreffend. Die FTS behindert Transaktionen nicht, sondern macht sie nur teurer. Würde die Verteuerung jedoch als Behinderung interpretiert, dann wären auch die üblichen Transaktionskosten (Gebühren, Kommissionen) marktbedingte Verteuerungen, z.B. eine Wechselkurserhöhung, eine Behinderung und stünden im Widerspruch zur Kapitalverkehrsfreiheit. Schließlich lassen sich auch rechtsimmanente Argumente gegen die Annahme der EK ins Feld führen (s. dazu die Stellungnahme von Prof. Lieven Denys in dieser Anhörung).
2. Der Steuersatz für Derivate von 0,01% ist zu niedrig. Derivate sind eine der größten Stabilitätsrisiken, und der Handel mit ihnen muss deutlich schrumpfen. Über 90% des Derivatehandels bezieht sich auf nicht-realwirtschaftlich begründete Transaktionen weniger als 10% beziehen sich auf Handel und Investitionen (incl. deren Hedging). Daher schlagen wir einen Steuersatz von mindestens 0,05% vor. Nur damit wird eine spürbare Verlangsamung der Umschlaggeschwindigkeit und eine Reduzierung der Spekulation erzielt. Dabei ist durchaus richtig, dass auch realwirtschaftliche Absicherungsgeschäfte (Hedging) die 0,05% entrichten müssen. Dennoch ist dies aus betriebswirtschaftlicher Sicht kein Problem. Ein Rechenbeispiel: Wenn eine Fluggesellschaft sich ein Kerosin-Future über eine Million Euro kauft, dann müsste sie nach unserem Vorschlag 500 Euro FTS zahlen. Das ist für die Fluggesellschaft eine Bagatellsteuer, durch die sie aber durch den Zugewinn an Stabilität wiederum auch profitiert. Auf Dauer sogar in Euro und Cent, denn erhöhte Stabilität auf den Märkten führt auch zu sinkenden Kosten beim Hedging.
3. Auch wenn die Hinterziehungsmöglichkeiten durch das Sitzlandprinzip eingeschränkt sind, werden Geschäfte von ochtergesellschaften europäischer Akteure mit Sitz außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes mit außereuropäischen Partnern nicht erfasst. Um dieses Schlupfloch zu schließen, schlagen wir vor, eine Berichtspflicht für Tochterunternehmen europäischer Akteure in den Gesetzesentwurf aufzunehmen, sodass deren Transaktionen ebenfalls erfasst werden können. Hier ist auch zu prüfen, ob die im Rahmen der Regulierung des OTC-Handels vorgesehenen Clearingstellen und Handelsverzeichnisse im Zuge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Aufsicht für die Steuerbehörden zugänglich gemacht werden.
4. Falls sich die Einführung in der EU-27 nicht verwirklichen lässt, schlagen wir die Einführung in der Euro-Zone vor. Auch hier gilt das Vorreiterprinzip. Insistieren auf der EU-27-Lösung führt zur Handlungsblockade. Die Euro- Zonen-Lösung kann entweder über die Methode der Erweiterten Zusammenarbeit geschehen, oder - falls es auf diesem Wege zu kompliziert sein sollte - durch intergouvernementale Zusammenarbeit, wie sie im Krisenmanagement der Eurozone praktiziert wird. Damit könnte auch der Zeitpunkt der Implementierung um ein Jahr auf 2013 vorgezogen werden.
5. Bei der Verteilung der Einnahmen schließt sich die Kampagne Steuer gegen Armut aus pragmatischen Gründen der Haltung der Bundesregierung an, wonach die Einnahmen den nationalen Steuerbehörden zufließen sollten. Die Stärkung der finanziellen Unabhängigkeit Brüssels ist ein anderes Thema, und wir sehen daher ein Junktim mit der FTS skeptisch. Zumal in der für uns wichtigen Frage der Zweckbindung eines Teils der Mittel für Entwicklungs- und Umweltfinanzierung die Einflussmöglichkeiten auf nationaler Ebene größer sind als auf europäischer.
6. Es ist uns bekannt, dass weder das deutsche noch das EU-Haushaltsrecht eine Zweckbindung von Steuereinnahmen zulassen. Allerdings sind wir der Meinung, dass es die Akzeptanz der FTS vor allem bei den Schwellenländern in der G20 erhöhen würde, wenn die Implementierung bei uns durch eine entsprechende politische Verpflichtungserklärung flankiert würde. So richtig das Vorreiterprinzip ist, so ist strategisch auch darauf zu achten, dass ein internationales Mainstreaming der FTS immer mitbetrieben wird. Dazu ist die Erklärung, einen Teil der Einnahmen - etwa eine Drittelung jeweils für Armutsbekämpfung, Klimapolitik und Bekämpfung der Krisenfolgen bei uns - ein geeignetes Mittel. Die bevorstehende Klimakonferenz in Durban wäre ein gute Gelegenheit, ein solches Signal zu setzen.