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Privatisierung von Dienstleistungen

28.10.2003: Statement beim Dialog der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit NGOs, Berlin, 24.10.2003

Privatisierung von Dienstleistungen 9 kritische Stichpunkte aus zivilgesellschaftlicher Sicht

Peter Wahl - WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung Statement beim Dialog der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit NGOs, Berlin, 24.10.2003

Die folgende Stichpunkte fokussieren auf Dienstleistungen der Daseinsfürsorge, wie Gesundheit, Altersvorsorge und Bildung sowie der materiellen Infrastruktur soweit sie von zentraler Bedeutung für die Befriedigung von Grundbedürfnissen ist, wie Trinkwasser- und Energieversorgung u.ä. Diese Dienst-leistungen wurden und werden in vielen Industrieländern und Entwicklungsländern zum großen Teil öffentlich bereit gestellt: Außerdem wird der Begriff Privatisierung im Sinne von kommerzieller bzw. profitorientierter Privatisie-rung gebraucht, und damit unterschieden von privaten Dienstleistern des non-profit Sektors. Letztere spielen in Form von Kirchen, karitativen Einrichtungen etc. vor allem in den Sektoren Bildung und Gesundheit in vielen Entwicklungsländern eine bedeutende Rolle. Auch wird als Gegenpol zum Privaten nicht der Staat gesetzt, sondern öffentliche Dienstleistungen. Diese umfassen zwar staatliche Dienstleistungen, sind aber weiter gefasst und beinhalten auch öffent-liche Dienstleister, die nicht unmittelbar staatlich sind, z.B. das ausgesprochen erfolgreiche System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einigen europäischen Ländern (BBC, ARD) und Kanada. Auch ist es problematisch, die kommunale Ebene, die zwar formell auch Staat ist, umstandslos mit national- und zentralstaatlichem Handeln gleichzusetzen.

1. Die Tendenz zur Privatisierung, die in den letzten 15 Jahren weltweit zu beob-achten ist, wird in der Regel mit Staatsversagen durch Ineffizienz, Bürokratie, Korruption etc. erklärt. Diese Probleme gab und gibt es in der Tat, und bedürfen der Lösung. Allerdings lässt sich die Privatisierungswelle nicht auf diesen einzi-gen Faktor allein reduzieren. Bedingt durch die Globalisierung eröffnen sich für transnational operierende Dienstleistungsunternehmen neue Expansionsmög-lichkeiten und - angesichts der neuen Qualität globalen Wettbewerbs - nachge-rade der Zwang neue Marktanteile zu erobern. Schließlich kam hinzu, dass das dominierende ordnungspolitisch Leitbild mit seiner Verabsolutierung des Marktes die kommerzielle Inwertsetzung aller nicht marktförmig organisierten Sektoren Gesellschaft in einem gleichsam teleologischen Weltbild zum Gipfelpunkt zivili-satorischer Entwicklung erklärte. Dieser neoliberale Privatisierungsdiskurs hat ei-ne höchst ideologische Dimension.

2. Die Regierungen der Industrieländer und die von ihnen dominierten zwischen-staatlichen Institutionen (IWF, Weltbank, WTO etc.) haben diese Orientierung politisch maßgeblich mitbefördert. So u.a. mit der Strukturanpassungspolitik, die durchgängig Privatisierungsauflagen enthält, oder mit dem GATS. Die requests der EU und der USA in den GATS-Verhandlungen zeigen, dass hier massive In-teressen der privaten Anbieter vorliegen. So stellt die EU an 94 Länder Öff-nungsforderungen bei Finanzdienstleistungen (von 109 insgesamt). Neben dem Banken ist der Versicherungssektor die wichtigste Branche der Finanzdienstlei-ster. Er spielt eine rasch wachsende Rolle für die Finanzierung von Gesundheits- und Alterssicherungssystemen, also für Entwicklung und Armutsbekämpfung hochsensible Bereiche. Die aktuelle Krise der Versicherungsbranche als Resultat des "Salami-Crashs" an den Finanzmärken schafft ein zusätzliches Motiv, vor allem in Schwellenländern lukrative Märkte durch die Etablierung privater Syste-me oder die Privatisierung öffentlicher Systeme zu erschließen und privaten Verwertungsinteressen zuzuführen. Ähnliche Interessenlagen gibt es bei euro-päischen Dienstleistern im Wasser- und Abwasserbereich. Mit anderen Worten, die Privatisierungstendenz wird weniger von Motiven der Entwicklung und Ar-mutsbekämpfung als vielmehr von den Interessen der Global Players aus den Industrieländern angetrieben.

3. Der Privatisierung werden im wesentlichen drei positive, entwicklungsfreundli-che Wirkungen zugeschrieben:- erstens steige die Kosteneffizienz und dementsprechend würden die Verbrau-cherpreise sinken; - zweitens würde die Qualität der Dienstleistungen gesteigert und - drittens gebe es entwicklungspolitische spill over Effekte (Transfer von Know How, Verbesserung der als Resultat von mehr Wettbewerb etc.). In diese Argumentation gehen nicht nur unzutreffende axiomatische/theoretische Annahmen ein, sondern die empirischen Erfahrungen mit der Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen zeigen dass diese Effekte nicht, oder nur vorüber-gehend bzw. partiell eintreten.

4. Was die axiomatischen Grundannahmen angeht, wonach der Markt und die seiner "unsichtbaren Hand" folgenden Privatakteure die optimale Ressourcenal-lokation gewährleisten und systematisch die Verbindung von privater und kollek-tiver Zweckrationalität herstellen würden, so wird übersehen, dass es Marktver-sagen gibt, und zwar nicht als Ausnahme oder Ausrutscher, sondern strukturell und systemisch bedingt in folgenden drei Fällen:- bei der Versorgung mit öffentlichen Gütern, - bei der Internalisierung von Externalitäten und - in Situationen unvollständigen Wettbewerbs, was meistens der Fall ist. Unter diesen Bedingungen verteilt der Markt dann auch Reichtum und Armut mit der systematischen Tendenz zu deren Polarisierung.

5. Konkret wirkt sich das so aus, dass privatisierte, ehemals öffentliche Dienstlei-stungen zwar qualitativ besser werden können (obwohl auch dies nicht immer der Fall ist), aber der Zugang für die Masse der Armen schwieriger oder ganz versperrt wird. Dies ist übrigens nicht auf Entwicklungsländer beschränkt. Auch die spill-over Effekte werden meist völlig überschätzt, wenn nicht gar negative Effekte überwiegen, wie sie aus der Kritik an den Praktiken transnationaler Kon-zerne bekannt sind (Ressourcenabfluss, Transferpricing, Marginalisierung der kleinen und mittleren Unternehmen etc.).

6. Mit der Privatisierung werden der Politik, die im Prinzip das Gemeinwohl zu verwirklichen hat, ordnungspolitische Steuerungshebel aus der Hand genommen und der demokratischen Kontrolle entzogen. Insofern ist Privatisierungen auch ein Moment von Entdemokratisierung immanent. Verkehrs- und umweltpoli-tische Gestaltungsmöglichkeiten beispielsweise mögen in Industrieländern bei einer Privatisierung von Bahn und ÖPNV durch politische Rahmensetzung we-nigstens noch teilweise erhalten bleiben. In den meisten Entwicklungsländern je-doch wird gerade dann, wenn Staatsversagen auf breiter Front vorliegt die Set-zung eines solchen Rahmens zur lllusion. Abgesehen davon, dass dies in vielen Fällen von den herrschenden Eliten und Mittelklassen ohnehin nicht gewollt ist. Dass dies gerade in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung ent-wicklungspolitisch noch weitaus folgenreicher ist, liegt auf der Hand. Zudem führt die private Finanzierung dieser Sektoren auf den internationalen Kapitalmärkten dazu, dass sie von deren Schwankungen und abhängig und ihren systemischen Risiken ausgesetzt sind.

7. Aus der Perspektive einer auf Empowerment der armen und vulnerablen Gruppen orientierten Ordnungspolitik bedeutet Privatisierung grundlegender materieller und sozialer Infrastrukturen auch insofern eine Verschlechterung, als der gesetzliche Rechtsanspruch auf Bildung, Gesundheitsversorgung etc. ersetzt wird durch private Vertragsbeziehungen. Damit werden die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse noch weiter zuungunsten der Armen und Vulnerablen ver-schoben.

8. Auch die Etablierung oder Erhaltung von speziell für die Armen und Vul-nerablen zugeschnittenen öffentlichen Dienstleistungen parallel zu den Privaten ist entwicklungspolitisch eine Sackgasse, da die Ressourcen der Wohlhabende-ren nicht für deren Finanzierung zu Verfügung stehen. Für tragfähige Systeme führt kein Weg an einer Umverteilung von oben nach unten vorbei, sonst sind die öffentlichen Rumpfsysteme minderwertig. Services for the poor are poor servi-ces. Jenseits der Ressourcenproblematik stellt sich überdies das Problem, dass auch das Sozialkapital, das die Mittelklassen in den Erhalt und die Weiterent-wicklung der öffentlichen Dienstleistungen zu stecken in der Lage wären, unter Bedingungen dieser Segregation entwicklungspolitisch nicht produktiv wird. Nur wenn z.B. die Mittelkassen in ein öffentliches Bildungssystem eingebunden sind, haben sie auch ein Interesse an dessen Qualität.

9. Der herrschende Privatisierungsdiskurs hat angesichts der empirischen Be-funde beträchtlich an Überzeugungskraft eingebüßt. Der jüngste Human Deve-lopment Report der UNDP berichtet über negative Erfahrungen bei der Privatisie-rung von Trinkwasser. Auch der vor wenigen Tagen erschienene Weltentwick-lungsbericht der Weltbank mit Schwerpunkt Dienstleistungen hat sich von dem Glauben verabschiedet, die Privaten könnten alles besser und der Staat mache nur alles schlecht. Auch die Seattle-Cancùn Krise der WTO, das Dauerversagen des IWF bei der Vorbeugung von Finanzkrisen, die sog. Bilanzskandale und die am längsten anhaltende Talfahrt der Börsenkurs seit der Weltwirtschaftskrise ha-ben das Vertrauen in die unsichtbare Hand, die die privaten Akteure zu den lich-ten Höhen wirtschaftlichen Gleichgewichts führt, erschüttert. Es ist daher an der Zeit, eine grundlegende Neujustierung des Verhältnisses von privat und öffentlich zu diskutieren.

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