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Aspekte eines zukunftsfähigen Kooperationsabkommens zwischen der EU und den AKP-Staaten

25.04.1999: Schlußfolgerungen und Empfehlungen der internationalen Konferenz "Abschied von Lomé?" (Königswinter, 23.-25. April 1999)

MEMORANDUM

Aspekte eines zukunftsfähigen Kooperationsabkommens zwischen der EU und den AKP-Staaten

Vom 23. bis 25. April 1999 fand in Königswinter bei Bonn die internationale Konferenz "Abschied von Lomé?" statt. Veranstaltet wurde sie gemeinsam von terre des hommes, der Koordination Südliches Afrika (KOSA) und WEED in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Europäischen Netzwerk der Initiativen zum Südlichen Afrika (ENIASA). 140 Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen und Forschungseinrichtungen aus 15 Ländern Europas, Afrikas und Lateinamerikas erörterten auf der Konferenz vor allem die potentiellen Folgen regionaler Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Staatengruppen Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten).

Bei den gegenwärtigen Verhandlungen zwischen der EU und den AKP-Staaten über ein Lomé-Nachfolgeabkommen steht der europäische Vorschlag für derartige Abkommen - die EU nennt sie Regionale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Regional Economic Partnership Agreeements - REPAs) - im Zentrum. Auf der Königswinterer Konferenz wurde vor den gravierenden negativen Folgen solcher REPAs gewarnt, weil die EU einen unverhältnismäßig größeren Marktanteil in den Regionen und Staaten der AKP-Gruppe gewinnen würde, ohne daß die AKP-Staaten ihrerseits fähig wären, ihre Exporteinnahmen zu erhöhen. Die EU plant nicht, ihre für externe Konkurrenz sensitiven Industrie-, Landwirtschafts- und Dienstleistungsbereiche stärker als bisher zu öffnen. Die Erfahrungen mit der bisherigen Politik der Liberalisierung im Handels- und Investitionsbereich zwischen ungleichen Partnern haben vielmehr gezeigt, daß durch sie häufig gerade die ärmsten Bevölkerungsschichten, die Kleinbauern und die lokale Wirtschaft in den Entwicklungsländern Nachteile in Kauf nehmen mußten.

Statt vom bisherigen Lomé-Modell nicht-reziproker Handelspräferenzen Abschied zu nehmen, sollte die EU sich für ein Kooperationsabkommen mit den AKP-Staaten einsetzen, das die strukturellen und ökonomischen Unterschiede der Länder berücksichtigt und die europäischen Außenwirtschafts- und Agrarinteressen dem Ziel einer weltweit ökologisch tragfähigen und sozial gerechten Entwicklung unterordnet.

1. Kein übereilter Liberalisierungsdruck

Sowohl die AKP-Staaten als auch die EU brauchen Zeit, um ein realistisches und entwicklungsförderndes Kooperationsmodell zu entwerfen. REPAs wären politisch kontraproduktiv und würden die autonome regionale Integration eher behindern. Es gibt keinen Grund, warum die EU und die AKP-Staaten nicht erneut bei der Welthandelsorganisation (WTO) für einen Zeitraum von 10 Jahren eine Ausnahmeregelung (waiver) beantragen sollten - wie sie auch den USA und Kanada in ihren Handelsbeziehungen zu Staaten des Südens regelmäßig eingeräumt wird.

  • Die EU und die AKP-Staaten sollten bei der WTO einen 10-Jahres-waiver für das Lomé-Präferenzmodell anstreben.

2. Entwicklungskonformität statt WTO-Konformität

Die Liberalisierungsregeln der WTO sind nicht von Gott gemacht, sondern werden im Konsens der Mitgliedsstaaten bestimmt. Der vorgebliche Sachzwang, die Lomé-Regeln "WTO-kompatibel" machen zu müssen, wirkt solange ungerechtfertigt, solange die EU nicht alle Anstrengungen unternommen hat, die WTO zu reformieren und ihre Regeln entwicklungsverträglich umzugestalten. Das betrifft insbesondere auch den GATT-Artikel XXIV.

  • Die EU sollte gemeinsam mit den AKP-Staaten auf eine Reform des GATT-Artikel XXIV drängen, um regionale nicht-reziproke Handelsabkommen zwischen strukturell und wirtschaftlich ungleichen Ländergruppen zu ermöglichen.

3. Autonome regionale Integration geht vor

Die regionale Integration, etwa im Verbund von SADC, ist für die Länder des Südens von existentieller Bedeutung. Sie trägt dazu bei, die Absatzmärkte für Exporte zu vergrößern, die Kosten des Handels in der Region zu senken und damit die Volkswirtschaften nach innen und außen zu stärken. Darüber hinaus ist einer Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe gegenüber dem weiteren Anschwellen des globalen Warenhandels auch aus ökologischen Gründen (Transportkosten etc.) der Vorzug zu geben. Ein undifferenzierter Regionalisierungsdruck von außen und die selektive Aushandlung bilateraler Freihandelsabkommen behindern dagegen den Prozeß regionaler Integration. Jede Unterstützung regionaler Integration, die eine Region der AKP gegen eine andere ausspielen und damit die Einheit der AKP-Gruppe schwächen würde, muß vermieden werden.

  • Die EU sollte die selbstbestimmte politische und ökonomische Integration in den AKP-Regionen aktiv fördern (Finanzmittel, capacity building, institutionelle Beratung etc.), ohne politischen Druck auf die Ausgestaltung und die Geschwindigkeit der Integration auszuüben. Dies sollte eine 10-jährige Aufbauphase der ökonomischen und finanziellen Grundlagen der Regionen, der regionalen Institutionen und des capacity building innerhalb der Mitgliedsstaaten solcher ökonomischer Gemeinschaften enthalten.

4. Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik als Grundvoraussetzung

Jedes Kooperationsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten wird in seiner entwicklungspolitischen Wirkung beeinträchtigt, solange die EU durch die Subventionierung der europäischen Landwirtschaft die Weltmarktpreise für Agrarprodukte drückt und Dumping ermöglicht. Sie bedroht dadurch die Existenz vieler Kleinbauern und damit auch die Ernährungssicherheit in den AKP-Staaten (vgl. z.B. die Folgen des EU-Rindfleischdumpings in Südafrika für die Bauern in Namibia). Die Einfuhrbeschränkungen der EU für Agrarerzeugnisse aus dem Süden verschärfen die negativen Effekte. Radikale Reformen sind seit langem überfällig. Daß sie bislang politisch nicht durchsetzbar waren, ändert nichts an ihrer Notwendigkeit.

  • Grundvoraussetzung einer europäischen Nord-Süd-Politik, die die Entwicklungsinteressen des Südens berücksichtigt, ist die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, der Abbau der Subventionen für die Überschußproduktion und die weitere Öffnung des europäischen Marktes für Agrarprodukte aus dem Süden.

5. Bereitstellung der notwendigen Finanzmittel

Eine zukunftsfähige Entwicklung ist in den Ländern des Südens ohne die Bereitstellung externer Finanzzuschüsse nicht möglich. Sie müssen u.a. dazu beitragen, die soziale Grundversorgung der Bevölkerung zu sichern und Einnahmedefizite der Regierungen (z.B. infolge von Zollsenkungen im Rahmen regionaler Integrationsprozesse) auszugleichen. Auf multilateraler Ebene, vor allem in der WTO, fehlen vielen AKP-Staaten die Kapazitäten, um ihre Interessen bei Verhandlungen effektiv wahrzunehmen. Auch hier ist eine verstärkte finanzielle Unterstützung notwendig. Dazu muß zunächst der Abwärtstrend der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) auf europäischer Ebene umgekehrt und der Anteil der Mittel für die ärmsten Länder erhöht werden. Zu diesem Zweck ist es zu allererst erforderlich, die Lücke zwischen den Zusagen und den Auszahlungen in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit zu beseitigen. Jährlich gehen infolge von ungenügendem Mittelabfluß Gelder in Milliardenhöhe für Entwicklungszwecke verloren.

  • Die Kapazitäten der EU-Kommission im Entwicklungsbereich müssen gebündelt und gestärkt werden, damit sie in der Lage ist, die auf politischer Ebene zugesagten Entwicklungsmittel auch tatsächlich auszuzahlen. Innerhalb der europäischen Entwicklungspolitik müssen die Prioritäten zugunsten der ärmsten Länder des Südens verschoben werden.

6. Europäische Schuldeninitiative voranbringen

Der Abfluß von Finanzmitteln in Form von Schuldendienstzahlungen aus den AKP-Ländern in den Norden konterkariert die Ziele europäischer Entwicklungspolitik. Das neue Kooperationsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten muß daher auch die Notwendigkeit von Schuldenstreichungen berücksichtigen. Die Strukturanpassungsprogramme, die vielen AKP-Ländern von Weltbank und IWF auferlegt wurden, um den Schuldendienstrückfluß zu den Gläubigern zu gewährleisten, haben die soziale und ökonomische Lage vieler Länder erheblich verschlechtert. Eine grundsätzliche Abkehr der EU von diesen neoliberalen Programmen der 80er und 90er Jahre ist zwingend erforderlich. Die sollte in Abstimmung mit der Initiative zur partizipatorischen Überprüfung von Strukturanpassungsprogrammen (SAPRI) geschehen.

  • Das Lomé-Nachfolgeabkommen sollte von weitgehenden Schuldenstreichungen für die AKP-Staaten flankiert werden. Sie sollten vor allem die hochverschuldeten armen Länder entlasten und über die bisherige HIPC-Initiatve deutlich hinausgehen. Eine koordinierte Schuldeninitiative der EU sollte bereits auf dem Kölner Gipfeltreffen im Juni 1999 präsentiert werden.

7. Keine unkontrollierte Liberalisierung im Investitionsbereich

Das künftige Kooperationsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten wird neben den transnationalen Handels- auch die Investitionsflüsse betreffen. Beide Staatengruppen haben das Interesse an einer Ausweitung ausländischer Direktinvestitionen in den AKP-Staaten betont. Dies darf allerdings nicht zu einer weiteren unkontrollierten Liberalisierung der Investitionsregeln führen. Schon heute unterliegen viele ausländische Investitionen nicht den international ausgehandelten Umwelt- und Sozialstandards und schaden der einheimischen Bevölkerung mehr als sie nützen. Ausländische Investitionsprojekte dürfen aber nicht auf dem Rücken der betroffenen Bevölkerung durchgeführt werden.

  • Im künftigen EU-AKP-Abkommen darf nicht ein "MAI durch die Hintertür" verankert werden. Statt dessen sollte den AKP-Ländern eine eigenständige Investitionspolitik, einschließlich entwicklungsorientierter Leistungsauflagen (performance requirements) und des Instrumentes der Kapitalverkehrskontrollen, ermöglicht werden. Um einen Anpassungswettlauf nach unten zu verhindern, sollte die Förderung ausländischer Investitionen durch die EU an die Einhaltung einheitlicher sozialer, menschenrechtlicher und ökologischer Mindeststandards geknüpft werden. Darüber hinaus sollte die Schaffung weiterer exportorientierter Produktionszonen (EPZ), die dazu neigen, lokale Gesellschaften zu schwächen, grundlegende soziale Arbeitnehmerrechte zu ignorieren und die Steuerhoheit öffentlicher Verwaltungen zu unterlaufen, abgelehnt werden.

8. Die Verantwortung ausländischer Investoren stärken

Ausländische Investitionen können positive Entwicklungseffekte in den AKP-Ländern haben, wenn sie an klare Normen gebunden sind. Viele Empfängerländer sind aufgrund fehlender finanzieller und administrativer Kapazitäten (oder auch infolge verbreiteter Korruption) nicht in der Lage, für die ausländischen Investoren klare Verhaltensregeln festzusetzen. Die Verantwortung der Investoren sollte daher auch auf EU-Ebene im Rahmen verbindlicher Regeln festgelegt werden. Erforderlich ist dazu die Entwicklung eines europäischen Verhaltenskodex für Transnationale Unternehmen, wie ihn das Europäische Parlament im Januar 1999 gefordert hat.

  • Die EU sollte sich auf verbindliche Normen für in Entwicklungsländern tätige europäische Unternehmen einigen, wie sie vom Europäischen Parlament im Januar 1999 gefordert wurden. Ein entsprechender rechtsverbindlicher Verhaltenskodex für Transnationale Unternehmen sollte auch im künftigen Kooperationsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten berücksichtigt werden.

9. Die Mitbestimmung der Zivilgesellschaft stärken

Jedes künftige Kooperationsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten hat für die Menschen in diesen Regionen weitreichende Konsequenzen. Die gegenwärtigen Erfahrungen zeigen, daß die Handelsliberalisierung sich besonders auf Frauen negativ auswirkt (so im Falle von Südafrika). Um sicherzustellen, daß die Interessen der Menschen, die durch ein zukünftiges Kooperationsabkommen direkt betroffen sind, berücksichtigt werden, muß die Partizipation der Zivilgesellschaft auf allen Ebenen der Formulierung und Implementierung des Abkommens verbessert werden.

  • Die EU und die AKP-Staaten sollten die Mitbestimmung der Bürger, der Nichtregierungsorganisationen, der Gewerkschaften, Frauenrechtsorganisationen und der klein- und mittelständischen Unternehmensverbänden in den Entwicklungsregionen der AKP-Staaten in den Verhandlungen über eine regionale ökonomische Integration und die Formulierung der Finanz- und Steuerpolitik sicherstellen. Um gleichermaßen mehr Transparenz in den Entscheidungsprozessen der EU zu erreichen, sollten der Europäische Rat und die Kommission der Zivilgesellschaft weitgehende Mitwirkungsrechte im Lomé-Prozeß einräumen.

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>MitarbeiterInnen