Lomé ist tot - es lebe Fidschi! - Kommentar zum Abschluß der EU-AKP-Verhandlungen
01.02.2000: Artikel aus dem Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (02/00)
Am 4. Februar war es endlich so weit: Nach einer nächtlichen Marathonsitzung konnte die portugiesische Ratspräsidentschaft einen Sieg verkünden. Noch einmal, für die nächsten 20 Jahre, wird es zwischen den 15 EU- und den 71 AKP-Ländern (Afrika, Karibik, Pazifik) ein gemeinsames Kooperationsrahmenabkommen zur Entwicklungsförderung geben. Das neue Abkommen beendet die Ära der neokolonialen "Partnerschaft" von Lomé; unter dem Slogan der "good governance" feiert der Parternalismus des "weißen Mannes" seine Wiederauferstehung. Stabex und Sysmin sind passé; Freihandel lautet die Devise, analysiert Sabine Meyer.
Das Tauziehen um das größte kollektive Entwicklungshilfeabkommen der Welt war während der Ministertagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle zum ersten Mal einem größeren Publikum zur Kenntnis gelangt. Damals, Anfang Dezember letzten Jahres, saß die Europäische Union (EU) plötzlich auf der Anklagebank, als der stellvertretende WTO-Direktor der erstaunten Zuhörerschaft erläuterte, die rigide Haltung der EU gegenüber ihren Ex-Kolonien, ihnen statt der bisherigen Zollpräferenzen regionale Freihandelsabkommen aufherrschen zu wollen, hätte nichts mit den Spielregeln seiner Organisation zu tun. Ausnahmeregelungen ("Waiver") würde die WTO auch weiterhin ohne Probleme erteilen. Da sah sich die EU plötzlich ihrer Argumentationsgrundlage beraubt.
Konzessionen beim Handel
Immer wieder hatte die EU-Kommission der unerbittlichen WTO und ihren Normen den schwarzen Peter für das geplante Ende der einseitigen Zollprivilegien der AKP-Länder zugeschoben. Mit der Weigerung der Entwicklungsländer, weiterhin die von den Industrieländern geschmiedeten WTO-Regeln als unausweichliches Schicksal hinzunehmen, war auch die Unschuld der EU dahin. Seattle hat beim Ausgang der Lomé-Verhandlungen zuguterletzt noch seinen Niederschlag gefunden. Die EU mußte den AKP-Ländern bei den Handelsbestimmungen entgegengekommen.
Das neue Abkommen mit einer Laufzeit von 20 Jahren soll Anfang Juni in Fidschi unterzeichnet werden. Es sieht für die 33 AKP-Länder mit höherem Einkommen zwar nach wie vor regionale Freihandelsabkommen ("Regional Economic Partnership Agreements" - REPA) vor. Acht Jahre beträgt die Vorbereitungsphase (mit Waiver bei der WTO) und 12 Jahre die Übergangsfrist. Jedoch sollen sich die restlichen AKP-Länder im Jahre 2004 nun doch 'frei' entscheiden können, ob sie den REPA beitreten wollen oder nicht. Ersatzweise soll ihnen ein "äquivalentes System" zu Lomé angeboten werden.
Dieses Stichdatum fällt zusammen mit der Aufhebung quasi aller Zollschranken, die die EU für das Jahr 2004 den ärmsten Entwicklungsländern (LDC) anbieten will. 39 der 48 LDCs sind AKP-Länder. Für den Fall, daß einzelnen AKP-Ländern durch die Ausweitung des Kreises der begünstigten Länder eine Benachteiligung entstehen könnte, hat die EU versprochen, "individuelle Lösungen in Erwägung zu ziehen".
Good governance
Lange Zeit hatten sich die Verhandlungen an dem Begriff "good governance" festgefahren. Die EU bestand darauf, dieses schwammige Kriterium zu einem "wesentlichen Element" zu machen, dessen Verletzung einem Vertragsbruch mit möglicher Suspendierung der Hilfe gleichkommt. Den europäischen Steuerzahlern konnte nicht mehr zugemutet werden, so lautete Standardargument auf europäischem Parkett, weiterhin Gelder ohne Garantien für ihre effiziente Verwendung in Entwicklungländern zu investieren. Die AKP-Seite lehnte dieses Begehren als neokolonialistische Einmischung lang Zeit rundweg ab, zumal parallel zu den Verhandlungen eine komplette EU-Kommission der Korruption überführt wurde. Der Kompromiß gesteht der Kommission nun die Möglichkeit zu, im Falle "schwerer Korruption" Sanktionsmaßnahmen bis zur Einfrierung der Mittel zu ergreifen.
Ein weiterer kritischer Punkt der Verhandlungen war die Rücknahme illegaler Einwanderer. Fast wäre der Abschluß der Verhandlungen im letzten Moment noch daran gescheitert. Der Rat der EU-Innen- und Justizminister hatte im Oktober letzten Jahres eine Standardklausel für alle zukünftigen EU-Verträge mit Drittländern verabschiedet. Darin ist vorgesehen, daß nicht nur Staatsbürger des jeweiligen Landes, sondern auch von dort eingereiste Staatenlose und durchreisende Flüchtlinge zurückgenommen werden müssen. Ein Abschluß der Verhandlungen war erst möglich, nachdem sich die EU zu einem Kompromiß bereit erklärt hatte. Alle Modalitäten zur Rücknahme sollen in bilateralen Abkommen jeweils einzeln verhandelt werden.
Bescheidene Mittelausstattung
Im Verhältnis zu den beiden oben genannten Knackpunkten verliefen die Verhandlungen zum Finanzvolumen vergleichsweise glatt. 13,5 Mrd. Euro (im Vergleich zu vorher 12,8 Mrd.) sind für die erste Fünfjahresphase des neuen Abkommens vorgesehen. Davon soll 1 Mrd. Euro konditioniert vergeben werden, d.h. bis zum Abschluß einer sog. Effizienzüberprüfung zurückgehalten werden, allerdings ohne daß diese Intention sich im Text wiederfindet. Das hatte die AKP-Verhandlungsführung zur Auflage gemacht. Desweiteren sind von dem Gesamtbetrag bereits 2,2 Mrd. Euro für eine neue "investment facility" eingeplant, die der "Förderung des Privatsektors" dienen soll, und 1,3 Mrd. Euro zur Vorbereitung von REPA durch die Förderung regionaler Integrationsprojekte. Entwicklungspolitisch ebenso problematisch sind die zusätzlich zugesagten Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB), die sich auf 1,7 Mrd. Euro belaufen sollen und zu Marktkonditionen vergeben werden.
Gerne verweist die Kommission auch darauf, daß den AKP-Staaten noch 9 Mrd. Euro unausgeschöpfte Mittel der Vorgängerkonventionen zur Verfügung stehen. Von den gestrafften Vergabemodalitäten verspechen sich beide Seiten einen wesentlich erhöhten realen Finanzfluß in den nächsten Jahren. Darin lag das Hauptmotiv der AKP-Staaten, weshalb sie der eigentlich eher knappen Mittelausstattung letztlich doch zustimmen. Immerhin soll das geplante Volumen ja nicht nur die finanziellen Einbußen der AKP-Staaten durch den Verlust etlicher Handelsprivilegien abfedern und ihre Vorbereitung auf die REPA fördern. Auch das bisherige System zum Ausgleich der Exporterlöse (Stabex und Sysmin) wird im neuen Abkommen nicht fortgesetzt und soll durch erhöhte Finanzleistungen ausgeglichen werden. Als Teil der Reformen zur Steigerung des Mittelabflusses soll mehr Einscheidungsmacht in die Delegationen vor Ort verlagert werden, weg von der Brüsseler Zentrale. Als wichtiges Novum gilt die in dem Abkommen vorgesehene Rolle der Zivilgesellschaft. Nichtregierungsorganisationen in den AKP-Ländern werden als Entwicklungsakteure anerkannt und sind damit erstmals direkt finanzierungsberechtigt. Die reine Zusammenarbeit auf Regierungsebene, die den Lomé-Prozeß so schwerfällig gemacht hat, dürfte damit zumindest teilweise der Vergangenheit angehören. Andererseits soll eine verbesserte Institutionalisierung des Dialogs auf Regierungsebene die politische Bedeutung der EU-AKP-Beziehungen aufwerten.
Auch eine weitere Ära könnte im Mai zu Ende gehen: die der jahrzehntealten Isolierung Kubas. Es liegt jetzt in den Händen des EU-Ministerrates, ob er dem Antrag Kubas statt gibt, 72. Mitglied der EU-AKP-Konvention zu werden. Die AKP-Seite hat ihr Einverständnis schon signalisiert. Zu Beginn der Reformdiskussion vor einigen Jahren hätte kaum jemand mehr dem aus kolonialen Zusammenhängen geborenen Kunstgebilde AKP eine Überlebenschance eingeräumt. Aber der Verhandlungsprozeß hat die AKP-Länder zusammengeschweißt und wider Erwarten in ihrem Existenzwillen gestärkt. Nicht nur gegenüber der EU, sondern auch in den WTO-Verhandlungen werden sich die 71 Länder zunehmend ihrer Verhandlungsmasse bewußt. Die neue Konvention wird zwar nicht mehr "Lomé" heißen, aber begraben ist sie - allen Prophezeiungen zum Trotz - noch nicht. Hinweis: Eine umfangreichere Analyse des neuen Vertrages bereitet WEED zur Vertragsunterzeichnung im Juni 2000 vor.
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