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Dimensionen von Schuldentragfähigkeit

30.01.2006: Das Konzept von Schuldentragfähigkeit - so technisch es auch klingen mag - ist politisch äußerst bedeutsam. Seit Mitte der 1990er Jahre spielt es eine zunehmend wichtige Rolle im internationalen Schuldenmanagement und bestimmt die faktische Schuldenlast, die ein hoch verschuldetes Land zu tragen hat - mit allen ihren möglichen dramatischen Folgen. Im Kern beruht das Konzept von Schuldentragfähigkeit darauf, eine klare Unterscheidung zwischen der noch tragfähigen und der nicht mehr tragfähigen Verschuldung eines Landes ziehen zu können. Im Falle von Überschuldungssituationen soll dadurch der erforderliche Schuldenerlass bestimmt werden, mit dem sich ein Land wieder auf einem tragfähigen Entschuldungsniveau befindet. Bei der Neukreditvergabe soll die Neuverschuldung mit Hilfe des Konzepts in "tragbaren" Grenzen gehalten werden - also falls nötig beschränkt werden, um eine exzessive Neuverschuldung zu vermeiden.

von Daniela Setton

(erschienen im Handbuch zur Schuldentragfähigkeit von Erlassjahr, Januar 2006) www.erlassjahr.de/content/mitmachen/arbeitshilfen_handbuch_tf.php

Es gibt verschiedene Konzeptionen davon, wie Schuldentragfähigkeit definiert und anhand welcher Kriterien die Grenzziehung zwischen tragfähigem und nicht-tragfähigem Schuldenniveau vorgenommen werden soll. Für erlassjahr.de ist vor allem die Frage relevant, wie mit dem Konzept der Schuldentragfähigkeit ein Schuldenerlass bestimmt werden kann, der den Armutsbekämpfungs- und Entwicklungserfordernissen eines Entwicklungslandes Rechnung trägt. Dabei sind verschiedene Dimensionen zu berücksichtigen, die miteinander in Zusammenhang stehen und in diesem Handbuch näher analysiert werden.

Wirtschaftliche Dimension

Im ökonomischen Sinne ist ein Schuldenniveau dann tragfähig, wenn der Schuldner in der Lage ist, den Schuldendienst pünktlich und in vollem Umfang zu leisten - ohne dabei seine eigene wirtschaftliche Entwicklung zu blockieren. Das bestehende Verschuldungsniveau darf also die Fähigkeit des verschuldeten Landes nicht einschränken, in einem ausreichenden Maße Einkommensströme zu erwirtschaften, um neben der Bedienung der Schulden auch die nötigen Investitionen in die produktive und soziale Entwicklung des Landes vorzunehmen.

Da der größte Teil der Schuldenlast von Entwicklungsländern in ausländischer Währung aufgenommen und auch zurückbezahlt werden muss, ist die Erzielung von Exporterlösen entscheidend. Dies ist für viele Länder der einzige Weg, um die notwendigen Devisen zur Bedienung der ausländischen Schulden zu erwirtschaften. Deswegen werden das Verhältnis der gesamten Auslandsschulden zu den jährlichen Exporteinnahmen (Schuldenquote) und der jährliche Schuldendienst zu den jährlichen Exporteinnahmen (Schuldendienstquote) als Kriterien zur Messung von Schuldentragfähigkeit herangezogen.

In der Praxis des derzeitigen internationalen Schuldenmanagements wird Schuldentragfähigkeit jedoch vor allem auf die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Rückzahlungsfähigkeit von Schulden an externe Gläubiger reduziert. Die Frage, ob ein Land z.B. fähig ist, eine solide Wachstumsbasis für die binnenwirtschaftliche Entwicklung zu schaffen, wird vernachlässigt. Viele Länder bedienen insofern zwar ihre Schulden, jedoch leidet ihre wirtschaftliche Entwicklung dabei.

Vielen Ländern gelingt es jedoch nicht einmal, ausreichend Einkommen zur Rückzahlung ihrer Schulden zu erwirtschaften, da die Möglichkeiten zur Erzielung von Exporterlösen häufig eingeschränkt sind. Verschuldete Entwicklungsländer haben in der Regel eine ungünstige Einbindung in das internationale Handelssystem. Sie verfügen nur über einige wenige exportfähige Güter im Rohstoff- oder Agrarbereich, wie Baumwolle, Kupfer oder Kaffee, die aufgrund der strukturellen Überproduktion seit Jahrzehnten einem Preisverfall auf dem Weltmarkt ausgesetzt sind.

Viele Schuldnerländer haben dazu noch eine negative Handelsbilanz - das heißt sie importieren mehr als sie exportieren. Deshalb müssen sie Devisen nicht nur zur Bedienung ihrer Schulden erwirtschaften, sondern auch zur Finanzierung von Importen. Reichen die Exporte und die vorhandenen Devisenreserven eines Landes zur Zahlung der Verbindlichkeiten nicht aus, dann muss ein Land sich zusätzlich verschulden. So stecken viele Länder in einer Spirale aus Auslandsverschuldung und Handelsdefiziten, die vor dem Hintergrund der ungünstigen Exportfähigkeit (niedrige und wenig diversifizierte Export- und Wachstumsstruktur der Länder) schwer zu durchbrechen ist: für die Finanzierung von Schulden und Importen müssen immer mehr Schulden aufgenommen werden.

Durch die prekäre weltwirtschaftliche Einbindung sind viele hoch verschuldete Länder zudem enorm anfällig gegenüber sog. "exogenen Schocks", wodurch die Entwicklung des Wachstums und der Exporte zum Teil erheblich beeinträchtigt wird. Eine Naturkatastrophe, plötzliche massive Schwankungen der Zinsen oder ein plötzlicher Fall der Preise eines der Hauptexportgüter des jeweiligen Landes - wie etwa Kaffee - können eine Schuldensituation schlagartig verschlechtern. Auch eine Abwertung des Wechselkurses kann die externe Schuldenlast eines Landes in die Höhe treiben. Denn der Schuldendienst muss in heimischer Währung erwirtschaftet werden, die bei einer Abwertung an Wert verliert. Die dramatische Folge: Die Schulden steigen in gleichem Maße, wie der Wechselkurs sinkt. Infolgedessen wird die Erzielung von immer mehr Devisen nötig, um die Schuldenlast abzutragen - oftmals ohne dass die Fähigkeit der Exportwirtschaft zunimmt, diese Devisen zu erwirtschaften.

Neben der Frage der Auslandsverschuldung (in Fremdwährung) ist aber auch die interne Verschuldung - also die Verschuldung bei Inländern in eigener Währung - in den letzten Jahren für Entwicklungsländer zunehmend bedeutsam geworden und muss bei der Bestimmung eines tragfähigen Schuldenniveaus berücksichtigt werden.

Soziale Dimension

Doch ein tragfähiges Schuldenniveau hat auch eine soziale Dimension. Bei der Bestimmung von Schuldentragfähigkeit muss insofern auch die Frage gestellt werden: "Tragfähig für wen?" Denn ein Land kann rein ökonomisch gesehen in der Lage sein, seine Schulden zu bedienen, während gleichzeitig ein Großteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt. Knappe staatliche Mittel fließen so in die Taschen internationaler Investoren, während für die Bevölkerung nicht einmal das Nötigste übrig bleibt. Die Interessen der Gläubiger stehen hier denen der armen Bevölkerung direkt entgegen. Die Ausgaben für den Schuldendienst übersteigen in vielen hoch verschuldeten Ländern sogar bei weitem die Ausgaben für Gesundheit und Bildung.

Unter einem sozialen Gesichtspunkt kann ein Schuldenniveau nicht tragfähig sein, wenn die knappen Einnahmen der Staatskasse für die Bedienung der Schulden ausgegeben werden, anstatt für die Bekämpfung von Hunger, Unternährung, fehlender Bildung und Armut. Hier müssen die Interessen der Bevölkerung Vorrang vor dem Anspruch der Gläubiger auf Rückzahlung ihrer Schulden haben. Dazu reicht es nicht, universelle makro-ökonomische Variablen zur Bestimmung von Schuldentragfähigkeit zu verwenden. Denn selbst "günstige" makro-ökonomische Variablen - wie hohe Wachstumsraten oder steigende Exporteinnahmen - sagen nichts darüber aus, wie vielen Menschen es in einem Land an materieller Grundsicherung für ihr tägliches Überleben fehlt. Deshalb müssen soziale Kriterien ebenso in die Bestimmung von Tragfähigkeit eingehen wie ökonomische.

Beim Grundbedürfnisansatz hat die Grundversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Ernährung und Basisinfrastruktur folglich absolute Priorität vor der Bedienung der Schulden. Erst wenn die erforderliche Finanzierung des Existenzminimums der Bevölkerung sichergestellt ist, kann Schuldendienst geleistet werden. Im Kontext der Diskussion um die Erreichung der Millenniums - Entwicklungsziele (MDGs) bis 2015 wird das Aussetzen der Schuldendienstzahlungen gefordert, bis die Finanzierung der Ziele sichergestellt ist. Da die MDGs jedoch lediglich auf die Halbierung der Armut und nicht auf deren Abschaffung zielen, wird auch vorgeschlagen, die WSK-Rechte (wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) von 1976 als soziale Kriterien zur Bestimmung von Schuldentragfähigkeit heranzuziehen. Hierbei sollen über die Deckung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung hinausgehend finanzielle Ressourcen für die menschliche Entwicklung bereitgestellt werden, bevor Schuldendienst geleistet werden kann.

Ökologische Dimension

In vielen Entwicklungsländern ist die hohe Verschuldung einer der zentralen Faktoren für Umweltverschmutzung und die Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Ressourcen. Der Zwang, möglichst schnell und in kürzester Zeit Devisen erwirtschaften zu müssen, hat viele Länder - nicht zuletzt durch den Druck von Internationalem Währungsfonds und Weltbank - dazu gedrängt, ohne Rücksicht auf die Wahrung der natürlichen Ressourcen des Landes den Rohstoffabbau und die Agrarindustrie für den Export auszubauen. Die Folgen sind dramatisch: So führt beispielsweise die Förderung von Cash Crops (großen Monokulturen für den Export) zu verstärkter Degradation (Versteppung, Versalzung) landwirtschaftlicher Flächen und zunehmender Abholzung. Auch sind die Zusammenhänge zwischen Verschuldung und Regenwaldzerstörung bezeichnend. Umweltverschmutzung und die Zerstörung von Biodiversität (Artenvielfalt) verschlechtern zudem die Lebensbedingungen der ärmsten Bevölkerungsschichten.

Bei der Bestimmung von Schuldentragfähigkeit muss also auch berücksichtigt werden, welche Art von Ressourcenverbrauch und Umgang mit der Umwelt gefördert wird, um die Schulden zu zahlen. Wenn die natürlichen Ressourcen eines Landes geplündert werden, um die für den Schuldendienst nötigen Devisen zu erwirtschaften, dann ist ein Schuldenniveau im ökologischen Sinne "nicht tragfähig". Die Diskussion um die ökologische Dimension von Schuldentragfähigkeit steht jedoch noch sehr am Anfang.

Politische Dimension

Die ökonomischen Grenzwerte zur Bestimmung von Schuldentragfähigkeit werden im internationalen Schuldenmanagement vor allem politisch definiert. Denn die Höhe der tragfähigen Verschuldung sowie die dazu verwandten Kriterien hängen vor allem von der Bereitschaft der Gläubiger ab, auf Schuldendienstzahlungen zu verzichten. IWF und Weltbank haben dabei die Rolle, die soziale, ökonomische und politische Situation des Schuldnerlandes zu bewerten und auf dieser Grundlage den erforderlichen Schuldenerlass zu berechnen. Die beiden Internationalen Finanzinstitutionen sind jedoch selber Gläubiger, so dass es regelmäßig dazu kommt, dass ein Schuldenerlass durch technische Tricks "klein gerechnet" wird. Seit einigen Jahren beziehen IWF und Weltbank auch zunehmend Bewertungen über die Qualität der Politik und der Institutionen eines Landes in die Bestimmung von Schuldentragfähigkeit ein. Hierbei werden leider noch immer neoliberale Vorstellungen einer auf Rückzahlungsfähigkeit - und nicht auf nachhaltige Entwicklung - ausgerichteten Wirtschaftspolitik zugrunde gelegt. Wenn der Fokus jedoch auf der Rückzahlungsfähigkeit der Schulden liegt, dann kommt dies vor allem den Interessen der Gläubiger entgegen - seien es öffentliche Gläubiger wie Staaten oder private Banken.

Insofern ist es zentral, in welchem politischen Verfahren die Bestimmung eines noch-tragfähigen Schuldenniveaus vorgenommen wird. Eine von Gläubiger- und Schuldnerinteressen unabhängige Einschätzung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in den verschiedenen Schuldnerländern ist als Voraussetzung für ein akzeptables Ergebnis absolut relevant. Ebenso, wer in einem solchen Prozess an der Bestimmung von Schuldentragfähigkeit partizipiert: Sind dies allein Regierungsvertreter oder auch Vertreter von Parlamenten oder der Zivilgesellschaft? Wichtig ist ein offenes und transparentes Verfahren, das einer demokratischen Kontrolle unterworfen ist und nicht ausschließlich von internationalen Finanzinstitutionen und den Gläubigerregierungen entworfen wird.

Wenn sichergestellt ist, dass Schuldentragfähigkeit vor dem Hintergrund der Bedürfnisse der Menschen in dem Land bestimmt wird, dann ist auch zentral, dass die frei werdenden Mittel tatsächlich zur Befriedigung der Grundbedürfnisse verwendet werden. Auch dieser Aspekt muss in einem politischen Verfahren berücksichtigt werden.

Die Frage, in welchem Ausmaß die Schulden eines Landes überhaupt legitim sind, muss ebenso bei der Bestimmung von Schuldentragfähigkeit berücksichtigt werden. Dabei geht es nicht darum, welche Schulden ein Land ökonomisch verkraften kann, sondern welche Schulden überhaupt Geltung haben und insofern beglichen werden müssen. Betont wird damit die Verantwortung der Gläubiger bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Schuldenkrise. Viele der heutigen Schulden der Entwicklungsländer gehen auf Kredite zurück, die in den 1970er und 1980er Jahren an Diktaturen vergeben wurden. Wenn ein Gläubiger zum Beispiel nachweislich davon ausgehen konnte - wie etwa im Falle des Irak oder der Apartheidregimes in Südafrika - dass die vergebenen Kredite zum Schaden der Bevölkerung verwendet wurden, dann sind diese Schulden als nicht legitim zu bewerten.

Ein großes Problem ist, dass die hohe Schuldenbelastung vieler Entwicklungsländer nach wie vor als politischer Hebel der Industrieländer dient, um den Schuldnerländern ihre wirtschaftspolitischen Konditionen aufzudrücken. Unter dem Diktat von IWF und Weltbank und den Gläubigerregierungen mussten verschuldete Länder seit den 1980er Jahren ihre Märkte liberalisieren, deregulieren (von sozialen und politischen Regulierungen befreien) und öffentliche Unternehmen privatisieren. Dadurch wurden wichtige wirtschafts- und sozialpolitische Interventionsmöglichkeiten zerstört und die Ökonomien auf ein exportorientiertes Entwicklungsmodell hin ausgerichtet, das externer Finanzierung bedarf. Bei der Bestimmung von Schuldentragfähigkeit muss insofern auch berücksichtigt werden, dass der politische Einfluss der Gläubigerstaaten auf die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit der Schuldnerländer eingeschränkt werden muss. Eine Verschuldung ist nicht tragfähig, wenn sie die Schuldnerregierungen durch wirtschaftspolitische Konditionalitäten zur Aufgabe ihrer Souveränität zwingt.

Fazit: Die Bedienung von Schulden sollte weder auf Kosten der Bevölkerung eines Landes erfolgen, noch vor dem Hintergrund einer Ausbeutung und Ausplünderung der reichhaltigen natürlichen Ressourcen eines Landes. Dies sind wichtige Kriterien, die in die Bestimmung von Schuldentragfähigkeit eingehen müssen. Dies kann nur durch ein politisches Verfahren geschehen, in dem Gläubiger, Schuldner und die Zivilgesellschaft gleichberechtigt partizipieren und die ökonomische Bewertung des Schuldnerlandes auf der Einschätzung unabhängiger Gutachter basiert.

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