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NGO-Analyse der Umweltverträglichkeitsprüfung zum Ilisu-Staudamm in der Türkei

01.09.2001: Stellungnahme der NGOs zu dem Staudamm-Projekt

Umweltverträglichkeitsprüfung zeigt nach wie vor eklatante Mängel

Der Ilisu-Staudamm soll den Tigris kurz vor der Grenze zu Syrien und dem Irak aufstauen. Kritiker warnen seit langem, dass tausende von Kurden und Kurdinnen vertrieben, bedeutende Kulturgüter unwiederbringlich zerstört und der Wasserkonflikt in Nahost verschärft würden. Im Juli diesen Jahres wurde nach langer Verzögerung eine neue Fassung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für den Staudamm veröffentlicht. Sie war von den Exportkreditversicherungen (EKV) angefordert worden, nachdem eine Studie im Auftrag der britischen Regierung schwere Defizite in der ursprünglichen Fassung festgestellt hatte. Mit einer eigenen Analyse nimmt ein internationales Bündnis von Nichtregierungsorganisationen (NRO) nun Stellung zur neu vorgelegten UVP (siehe unten). Die Exportkreditversicherungen haben angekündigt, nach Abschluss ihrer eigenen Auswertung der UVP, voraussichtlich Anfang Oktober 2001, über die Bürgschaftsanträge entscheiden zu wollen.

Zwischenzeitlich hat die Bundesregierung neue Leitlinien für die Gewährung von Hermesbürgschaften verabschiedet. Für uns ist das Prüfverfahren zu Ilisu ein bedeutender Testfall für die Tauglichkeit der Leitlinien bei Lieferbürgschaften für Projekte, die im Hinblick auf ihre soziale, ökologische und kulturelle Wirkung besonders umstritten und problematisch sind. Laut eigener Aussagen ist der Ilisu-Staudamm außerdem auch für die beteiligten Exportkreditversicherungen ein bislang einmaliger "Fall", da zum ersten Mal ein abgestimmtes und gemeinsames Prüfverfahren verabredet worden ist. Ilisu gilt insofern gar als Testfall für die gemeinsame Berücksichtigung von Umweltaspekten innerhalb der OECD.

WEED fordert Abgeordnete und Ministerien daher dringend auf, sich ausführlich mit der nun vorliegenden UVP zu beschäftigen und darauf hinzuwirken, dass die Bundesregierung sich nicht an einem Projekt beteiligt, das aus unserer Sicht in eklatantem Widerspruch zu einer Vielzahl von Standards steht, denen sie selbst auf internationaler Ebene zugestimmt hat.

Ein internationales Bündnis von Nichtregierungsorganisationen (NRO) hat die neue Fassung der UVP einer ausführlichen Analyse unterzogen, deren Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst sind.

Unsere Analyse zeigt, dass auch die neue Fassung lückenhaft ist und internationalen Normen für die Durchführung von UVPs nicht entspricht. Weder die UVP noch das Projekt selbst halten die Richtlinien ein, die von der Weltbank, der OECD oder der World Commission on Dams (WCD) aufgestellt wurden. Nicht einmal die von den Exportkreditversicherungen festgelegten Konditionen werden erfüllt (s.u.).

Nicht-Einhaltung von Standards für UVPs:

Nach eigenen Angaben nahm das mit der UVP beauftragte Konsortium die Richtlinien der amerikanischen Exim-Bank zumMaßstab ihrer Prüfungen. Diese werden jedoch in mehreren Punkten nicht eingehalten. Weder wurden die Auswirkungen veränderter Wasserabflüsse auf die Unterlieger untersucht, noch wurde die sich verschlechternde Wasserqualität und daraus resultierende Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung quantifiziert. Ebensowenig wurden die im Falle eines Dammbruchs betroffenen Gebiete identifiziert oder die kumulativen Wirkungen des Ilisu-Staudamms im Rahmen weiterer geplanter Dämme in den Blick genommen und untersucht, wie es die Exim-Richtlinien verlangen.

Laut Aussage der Hermes AG und der anderen Exportkreditversicherer (EKV) hatte die Türkei zugesagt, beim Bau des Staudamms Weltbankstandards einzuhalten. Zudem sollte von der Türkei als OECD-Mitglied die Einhaltung der OECD-Richtlinien erwartet werden. Die UVP verletzt jedoch in mehrfacher Hinsicht Weltbank- und OECD-Richtlinien über UVPs und Umsiedlung, sowie Weltbank-Richtlinien über Informationsveröffentlichung, indigene Völker und die Behandlung kulturellen Eigentums. Ebenfalls nicht eingehalten wurden die Verfahrensvorschläge und Empfehlungen der WCD, denen besondere Berücksichtigung zukommen zu lassen die Bundesregierung zugesagt hatte. Sowohl die Weltbank und OECD als auch die WCD verlangen die Erstellung eines Umsiedlungsplans als Teil der UVP, die Veröffentlichung eines Umsiedlungsaktionsplans und Konsultationen mit der Bevölkerung über die UVP und den Umsiedlungsplan. Die jetzt vorgelegte Fassung der UVP für den Ilisu-Staudamm erfüllt keine dieser Bedingungen.

Selbst die Kritikpunkte der britischen Regierungsstudie an der ursprünglichen Fassung der UVP wurden nicht alle behoben. So wurde die assoziierte Infrastruktur (Stromleitungen, Straßen) nicht in die UVP einbezogen und die kumulativen Auswirkungen aller geplanten Dämme nicht berücksichtigt.

Auflagen der Exportkreditversicherer nicht erfüllt

Die EKV selbst haben vor längerer Zeit aufgrund der starken Kritik der Öffentlichkeit und Parlamente fünf Vorbedingungen für eine mögliche Bewilligung der Exportbürgschaftengestellt. Gefordert worden waren

  • ein Umsiedlungsplan nach international akzeptierter Praxis, einschließlich eines unabhängigen Überwachungsgremiums. Er liegt immer noch nicht vor.
  • der Erhalt der Wasserqualität: Die UVP räumt jetzt ein, dass die bisher geplanten Kläranlagen oberhalb des Stausees nicht ausreichen, um den Erhalt der Wasserqualität zu gewährleisten;
  • eine Mindestabflussmenge für die Unterlieger. Die UVP gibt eine Mindestabflussmenge aus dem Staubecken an, die eingehalten werden soll, weist aber nicht überzeugend nach, dass diese im Hinblick auf die Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Flussunterlieger angemessen ist;
  • ein detaillierter Plan zur Rettung der antiken Stadt Hasankeyf. Eine Detailplanung liegt nach wie vor nicht vor.
  • Konsultationen mit den Nachbarstaaten. Bislang liegt keine überprüfbare und glaubhafte Versicherung der türkischen Regierung vor, dass solche Konsultationen statt gefunden haben.

Nehmen die EKV ihre selbst formulierten Konditionen und ihre Aussage ernst, bei der Durchführung des Projekts internationale Standards zu beachten, müssen sie die UVP erneut zurückweisen.

Umsiedlung und Kulturgüterschutz:

Auch mit Veröffentlichung der UVP herrscht weiterhin Unklarheit über die Zahl der Projektbetroffenen. Angemessene Konsultationen mit der Bevölkerung wurden nicht durchgeführt. Ebenso wenig wurde ein Umsiedlungsplan erstellt. Die Auswirkungen der Notstandsgesetzgebung und der andauernden Repression der kurdischen Bevölkerung im Projektgebiet auf die Umsiedlungsplanung und den Kulturgüterschutz finden in der UVP nicht einmal Erwähnung. Notwendige Studien zur Rettung der archäologischen Schätze werden durch fehlende Ressourcen verhindert oder durch institutionelle Zuständigkeiten, nach denen das Militär die Verwaltung des kulturellen Erbes kontrolliert, erschwert.

Prüfung von Alternativen:

Die Prüfung von Alternativprojekten, wie sie internationale best practice für UVPs vorschreibt, ist unvollständig und einseitig zugunsten der Wasserkraft verzerrt. Während Sonnen- und Windenergiepotenziale sowie Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz nur sehr oberflächlich dargestellt werden, finden Gaskraftwerke zum Beispiel gar keine Erwähnung.

Hydrologie und Geomorphologie:

Hydrologische und geomorphologische Folgen des Projekts sind in der UVP ebenfalls nicht ausreichend behandelt. Eine vom internationalen NRO Bündnis eigens in Auftrag gegebene Studie zu den hydro- und geomorphologischen Folgen weist auf eine ganze Reihe weiterer negativer Aspekte hin:

  • Das Kraftwerk wird zu großen Schwankungen der Wasserabflussmengen im Tagesverlauf führen, die auch noch in Syrien und im Irak spürbar sein werden.
  • Der Ilisu-Staudamm wird voraussichtlich zusammen mit dem flussabwärts gelegenen Cizre-Damm die verfügbare Wassermenge für die Flussunterlieger drastisch verringern. Möglicherweise würde die Wasserzufuhr in Trockenzeiten sogar völlig unterbrochen, da das Wasser, das den Ilisu-Stausee verlässt, vom Cizre-Damm für Bewässerungsprojekte aufgefangen wird.
  • Die Aufstauung des Wassers kann zu starken Veränderungen der Stausee-Zuflüsse, des Tigris-Unterlaufs und des Grundwasserspiegels führen.
  • Bis zu 190 km² Seeufer können in Trockenzeiten freistehen und Malariamücken ideale Brutstätten bieten.
  • Trotz geplanter Kläranlagen werden städtische Abwässer und Landwirtschaft zu einer Verschlechterung der Wasserqualität führen, die wiederum die Freisetzung von Schwermetallen und damit Gesundheitsgefährdungen für die Anwohner/innen zur Folge haben können. Auch eine verstärkte Freisetzung des Treibhausgases Methan steht zu befürchten..
  • Durch seine Lage kurz vor der syrischen und irakischen Grenze betreffen diese Folgen auch die Bevölkerung der Nachbarstaaten. Zudem bedroht sie die Veränderung der Wasserdurchflussmengen und Überschwemmungsrhythmen. Da kleine und mittlere Flutwellen von dem Staudamm abgefangen werden, sind um so dramatischere Auswirkungen bei größeren Überflutungen zu befürchten.
  • Es bleibt große Ungewissheit über die zu erwartende Sedimentierungsrate, die zu Einbußen in der Stromgewinnung innerhalb weniger Jahrzehnte führen könnte.
  • Ein Dammbruch durch einen Unfall oder Kriegsakt hätte katastrophale Folgen für Millionen stromabwärts lebender Menschen.

Zudem scheinen in der UVP übliche technische Studien zur Modellierung von Langzeitfolgen unterlassen worden zu sein. In wesentlichen Aspekten bleibt die UVP schlüssige Begründungen für getroffene Annahmen schuldig, z.B. bei der Festsetzung der Mindestdurchflussmenge. Teilweise werden widersprüchliche Aussagen getroffen, z.B. über die Bedeutung des Cizre-Damms für das Ilisu-Projekt werden..

Konsequenzen für die Entscheidung über Hermesbürgschaften:

Die im April veröffentlichten Leitlinien der Bundesregierung für die Vergabe von Hermesbürgschaften zeichnen sich durch große Unverbindlichkeit aus. Dennoch verlangen auch die neuen Leitlinien: "Das Projekt muss die Umweltstandards des Bestellerlandes erfüllen. Diese werden mit grundlegenden, international anerkannten und üblichen Umweltvorschriften abgeglichen (wie z.B. mit denen der Weltbank oder der EBRD; sog. Benchmarking). Ergibt dieser Vergleich, dass die Bestellerlandvorschriften deutlich unter internationalen Standards liegen, sind hierzu weitere Ausführungen des Antragstellers erforderlich."

Die Analyse UVP durch das NRO-Bündnis zeigt, dass die Planungen für den Ilisu-Staudamm acht Weltbankrichtlinien, zwei OECD-Richtlinien sowie alle Empfehlungen der WCD verletzen. Rechtfertigungen dafür werden in der UVP nicht geliefert.


Weitere Informationen, insbesondere die vollständige NRO-Analyse der UVP (ca. 200 Seiten, englischsprachige Zusammenfassung 7 Seiten) schicken wir auf Anfrage gerne zu.

02. Oktober 2001