Pressemitteilung und erste Analyse der Abschlusserklärung von Hongkong: WTO-Zug kriecht langsam - aber: Weichenstellung in falschen Richtung
18.12.2005:
"In Hongkong sind die WTO-Träume von Konzernen und Industrieländern zum wiederholten Male geplatzt. Aber: Die Weichen für eine weitere Verschärfung der WTO-Abkommen zu Lasten der armen Länder sind gestellt. Der Freihandelsschnellzug kriecht zwar langsam, aber er rollt weiter. Und dabei überfährt er soziale Rechte und die Umwelt”, erklärte Handelsexperte Peter Fuchs von der entwicklungspolitischen NGO Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED) unmittelbar nach Bekanntwerden des Ergebnisses der WTO-Ministerkonferenz in Hongkong.
Vertreter von WEED nahmen an der großen Abschlussdemonstration teil, auf der zivilgesellschaftliche Organisationen aus Hongkong zusammen mit den angereisten WTO-Kritikern aus aller Welt auf die negativen Folgen der Handelspolitik auf kleinbäuerliche Landwirtschaft, Migrantinnen, Arbeits- und Soziale Rechte, Entwicklung und Umwelt hinwiesen. "Die Proteste vor den Toren des abgeriegelten Konferenzzentrums machten noch einmal deutlich: Im Welthandel muss es um Regeln zugunsten der Menschen und der Umwelt gehen. Die WTO als eine Welt-Business-Organisation ist das falsche Forum dafür", so Alexis Passadakis von WEED.
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Für Rückfragen vor Ort:
Christina Deckwirth +852 - 9535 1278
Alexis Passadakis +852
- 9535 1332
Peter Fuchs
+852
- 6259 9240
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Kurzanalyse der
WTO-Abschlußerklärung für die
Themenbereiche GATS, Agrar und NAMA :
NAMA: Was wurde
verabschiedet?
Der Abschlusstext sieht zu NAMA die Festlegung auf eine so genannte ‚Schweizer
Formel’ (Art. 14) vor, mit der die zukünftigen Zollsenkungen
berechnet
werden sollen. Für die weiteren Verhandlungen bleibt umkämpft, welche ‚Koeffizienten’
in diese Formel eingetragen und dann zur Zollberechnung benutzt werden.
Während
Deutschland und die EU auf nur zwei (sehr niedrige) Koeffizienten
gedrängt
hatte, konnte sie sich nicht durchsetzen und mussten die bloße Referenz
auf
eine "Swiss formula with coefficients (…)" akzeptieren.
Die Frage, ob Zollsenkungsverpflichtungen zukünftig ‚on a line-by-line
basis’
(also Zolllinie für Zolllinie) oder als
Durchschnittsverpflichtungen
eingegangen werden müssen, blieb ebenfalls offen. Ferner gibt der Text
keinerlei auch nur annähernd präzisierte Antwort auf die Frage der
notwendigen
Flexibilität und Sonderregeln für Entwicklungsländer sowie auf die
Probleme der
Präferenzerosion, mit der z.B. die AKP-Staaten - angesichts
präferenziellen
Marktzugangs zum EU-Markt - zu kämpfen haben werden.
Kritik des
NAMA-Ergebnisses
Mit einer Festlegung auf weitere Verhandlungen über Zollsenkungen und
den
Abbau ‚nichttarifärer Handelshemmnisse’ im Industriegüter-Bereich -
sowie u.a.
bei Fischerei- u. Forstprodukten - bereitet der Text die weitere
Marktöffnung
für wettbewerbsfähige Unternehmen der Industrieländer vor. Er dient
damit einer
entwicklungsfeindlichen 'Konzernagenda' der EU und der USA. Viele
Vorschläge
von Entwicklungsländern zur Verteidigung ihrer Flexibilität wurden
bereits
beiseite geschoben.
Ein Stopp der Verhandlungen sowie die von vielen
zivilgesellschaftlichen
Akteuren und Gewerkschaften geforderten Analysen der Entwicklungs-,
Beschäftigungs- und Umweltwirkungen weiterer NAMA-Vereinbarungen
wurden ignoriert.
Vielen Entwicklungsländern drohen damit Deindustrialisierung, der
Verlust von
Zolleinnahmen und der Wegfall zollpolitischer Schutzmöglichkeiten zum
Aufbau
und zur Förderung heimischer Industrien. Aus umweltpolitischer Sicht
ist eine
beschleunigte Liberalisierung brisanter Sektoren (Chemie,
Elektronikprodukte,
Forst-/Fischprodukte), der weitere Raubbau natürlicher Ressourcen und
die
Einschränkung umweltpolitischer Regulierungsmöglichkeiten zu befürchten.
Landwirtschaft
Was wurde
entschieden?
Der größte Streitpunkt bei Landwirtschaft war die Frage des
Enddatums der Exportsubventionen der EU. Die Ministererklärung enthält
das Jahr
2013 als Enddatum für das Auslaufen der Exportsubventionen. Bis zum
Jahr 2010 müssen
Exportsubventionen zu einem "substantiellen”
Teil abgebaut werden. Entscheidungen in den Bereichen Marktzugang, also
vor
allem Zollabbau wurden in Hong Kong genauso verschoben wie die Frage
der
internen Stützung. Für die "Nahrungsmittelhilfen” (Food Aid) der USA
wurden neue
Disziplinen in Aussicht gestellt.
Die EU-Exportsubventionen waren im Agrarsektor der zentrale
Streitpunkt der Ministerkonferenz. Denn die bäuerliche Landwirtschaft
vieler
Entwicklungsländer kann nicht mit der intensiven Landwirtschaft und den
grossen
Nahrungsmittelkonzernen aus dem Norden konkurrieren. Eine Förderung
dieser
Grossbetriebe und Agro-Konzerne mit Exportsubventionen verschärft das
Problem des
Exportdumpings bzw. ermöglicht es
erst. Im Jamaika z.B. verloren viele Milchbauern ihre Absatzmärkte als
das Land
seine Agrarmärkte liberalisierte und damit hochsubventioniertes
Milchpulver aus
der EU auf den Markt kam.
Die EU kündigte schon im August 2004 das Auslaufen der
europäischen Exportsubventionen an. Damals stellte die EU dies als
großes
Zugeständnis gegenüber den Entwicklungsländern in der WTO vor. Im
Gegenzug erwartete
sie damals wir bis zuletzt auch in Hong Kong weit reichende
Zugeständnisse bei
NAMA und GATS.
Bewertung
Das Auslaufen der Exportsubventionen der EU war überfällig.
Dennoch ist es falsch, die Ministererklärung als großes Zugeständnis
der EU
gegenüber den Entwicklungsländern zu loben. Dafür gibt es drei Gründe:
1) Lassen sich die EU heute für das
Enddatum feiern, ist dies eine Unverschämtheit. Denn schon im
Juli-Paket im
August 2004 hatten die EU ihr Angebot großes Zugeständnis "verkauft".
Zudem ist
noch lange nicht gut, etwas Schlechtes abzuschwächen. Die EU setzt nun
lediglich das langsam um, was von ihr schon seit Jahren verlangt wird.
2) Bis zum Jahr 2013 wird es weiterhin Exportsubventionen geben. Dies
ist nun
rechtlich festgeschrieben. Bis zu diesem Jahr werden viele Menschen,
vor allem
in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft weiter unter Exportdumping aus
der EU zu
leiden haben.
3) Der Abbau von Exportsubventionen ist nicht das einzige Problem des
Agrarabkommen: Durch das WTO-Agrarabkommen werden Ländern wichtige
Schutzinstrumente genommen, ihre Landwirtschaft vor Dumping zu
schützen. Eine dringend
erforderliche Angebotsregulierung wird nicht ermöglicht. Probleme wie
Abhängigkeiten
kleinerer Produzenten von einigen wenigen TNKs durch
Konzentrationsprozesse
sowie "Terms of Trade" zugunsten der Entwicklungsländer werden nicht
thematisiert.
Dienstleistungen/GATS
Was wurde
entschieden?
Im Bereich Dienstleistungen waren die Verhandlungen der 6.
Ministerkonferenz konzentriert auf einen umstrittenen Textentwurf für
die
Abschlusserklärung (Annex C), der eine drastische Beschleunigung und
Verschärfung
der bisherigen Verhandlungsweise des GATS-Abkommens vorsieht. Dieser
war von
der EU-Kommission und den europäischen Regierungen, insbesondere auch
der
deutschen Regierung, durchgesetzt worden und wurde in Hongkong
aggressiv in die
Verhandlungen hineingetragen.
Es beinhaltet folgende problematische Richtlinien:
- ein enges Zeitraster für das Jahr 2006, dass die
GATS-kritischen Schwellen- und Entwicklungsländer unter extremen Druck
setzten
wird
- das Thema öffentliche Auftragsvergabe bleibt auf der
Agenda und setzt somit ein entwicklungspolitisch wichtiges Instrument
unter Druck
- eine Ersetzung des bilateralen Verhandlungsverfahren, dass
ein wenn auch geringes Maß an Flexibilität für die Mitgliedstaaten
bedeutete.
Bei einem plurilateralen Verfahren drohen die Prioritäten einzelner
Länder
unter die Räder einer gebündelten Übermacht anderer Länder zu geraten.
- den Vorschlag von Mindest-Liberalisierungsverpflichtungen,
so dass das GATS zu wesentlich drastischern Marktöffnung führen wird.
Wie ist dies zu
bewerten?
Mit der Abschlusserklärung ist eine etwas gemilderte Version
des zuvor stark von Entwicklungsländern (G 90 und Venezuela,
Indonesien,
Brasilien etc.) kritisierten Papiers verabschiedet worden. Dennoch ist
es eine
Weichenstellung für einen unnachgiebigen Liberalisierungskurs. Aus
entwicklungspolitischer Sicht bedeutet dies eine fortgesetzte Dynamik
zu Marktöffnungen
durch das WTO-Dienstleistungsabkommen und damit eine Bedrohung für den
eigenständigen
Aufbau eines Dienstleistungsektors durch die weltweite Dominanz von
Dienstleistungsunternehmen aus den Industriestaaten.