Neue Studie: Freie Fahrt für Freien Handel?
06.04.2005: Die EU-Handelspolitik zwischen Bilateralismus und Multilateralismus
Freie Fahrt für Freien Handel? |
Viele Wege führen nach Rom, das weiß auch die EU. In der Außenhandelspolitik verfolgt sie beharrlich das Ziel, Märkte der Entwicklungsländer für ihre Produkte, Dienstleistungen und Investitionen zu öffnen. Sollte dies auf dem einen Weg nicht gelingen, weil zu viele Hindernisse im Weg stehen, dann nimmt man eben eine andere Route. Wie ein Raser auf der Autobahn weicht die EU-Handelspolitik politischen Hindernissen und Widerständen aus, indem sie die multilateralen und bilateralen Spuren beliebig wechselt, um ans Ziel "Freihandel" zu gelangen. Dabei bleiben die Entwicklungsinteressen und -bedürfnisse der Armen im Süden buchstäblich auf der Strecke. Auch ein Aufstand gegen die Regeln der Reichen wie bei der WTO-Ministerkonferenz in Cancún nützt ihnen nur wenig, jedenfalls wenn es nach dem Willen der EU geht.
Diese fatale Logik erfahren gerade die AKP-Länder, die afrikanischen, karibischen und pazifischen Partnerstaaten der EU. Bereits bei der WTO-Ministerkonferenz in Doha 2001 hatten sie sich gegen die Aufnahme von Verhandlungen zu den neuen Themen (Investitionen, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen und administrative Handelserleichterungen) gewehrt. Vor allem ein neues Investitionsabkommen stieß auf Ablehnung. Nach dem Willen der EU hätte ein solches Abkommen die Rechte von Investoren erheblich ausgeweitet. In Cancún wiederum widersetzten sich die AKP-Staaten in der G-90-Gruppe, erneut konsequent den neuen Themen, so dass die Konferenz an dieser Frage scheiterte. Nach einer Einigung im Juli 2004 werden lediglich Verhandlungen über administrative Handelserleichterungen eingeleitet.
Aber sind die AKP-Staaten die drei verbleibenden Themen damit losgeworden? Mitnichten. Im Oktober 2003 fiel der Startschuss für die zweite Runde im Rahmen der Cotonou-Verhandlungen zwischen der EU und den AKP-Staaten über neue Handels- und Investitionsabkommen, die sog. "Wirtschaftspartnerschaftsabkommen" (EPAs). Nur wenige Wochen nach der gescheiterten WTO-Ministerkonferenz in Cancún setzte die EU damit ehrgeizige Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen mit vier afrikanischen Regionen, der Karibik und dem Pazifik fort. Die Strategie der EU ist knallhart neoliberal auf Marktöffnung und Verhandlungen über die neuen Themen ausgerichtet. Die EU wünscht bilateral WTO-plus-plus Ergebnisse, denen viele Entwicklungsländer multilateral nie zustimmen würden.
Deutlich wird dies beim Thema Investitionen. Das Cotonou-Abkommen beschränkt die verstärkte Zusammenarbeit auf das Ziel der "Schaffung eines sicheren Investitionsklimas". Offenbar ist dies für die offensiven Konzerninteressen der EU noch nicht ausreichend, denn sie fordert sie von den AKP-Regionen eine weitgehende Öffnung im Zuge regionaler Investitions-Rahmenabkommen, die sich auf Nichtdiskriminierung, Offenheit, Transparenz sowie Bestimmungen zum Investitionsschutz stützen. Solche umfassenden WTO-plus-plus Investitionsrahmenabkommen sind im Kontext bilateraler Verträge bislang einzigartig. Sie reichen weit über den WTO-Rahmen hinaus und werden von den AKP-Staaten klar abgelehnt.
Unerwähnt bleibt im Cotonou-Abkommen hingegen das öffentliche Beschaffungswesen. Erst ein Blick in das EU-Verhandlungsmandat verschafft Klarheit über die europäischen Vorstellungen: Die EU fordert von den AKP-Regionen nicht nur (wie vor Cancún auch innerhalb der WTO) Verhandlungen über Transparenz in diesem Sektor, sondern darüber hinaus die fortschreitende Liberalisierung der Beschaffungsmärkte auf der Basis der Nicht-Diskriminierung europäischer Anbieter. Damit ist klar: Es geht der EU letztlich um die Öffnung der Märkte für europäische Unternehmen. Dass das Vorgehen der EU durchaus System hat, zeigt der Blick auf andere bilateralen Handelsgespräche. So beschrieb Pascal Lamy seine Ambitionen in den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Mercosur: "Aufbauend auf das multilaterale Handelssystem erstreben wir ein WTO-plus Abkommen, gekennzeichnet durch erstens großen Ehrgeiz in Marktöffnung und Regeln (z.B. Dienstleistungen, Investitionen, geistiges Eigentum) und zweitens eine interregionale Dimension".
Die EU hat die AKP-Staaten in eine fatale Zwickmühle manövriert. Ihre gegenwärtigen Handelspräferenzen können sie nur gegen Preisgabe zusätzlicher Konzession bewahren. Sie verhandeln mit dem Rücken zur Wand. Gruppen in den AKP-Regionen und der EU fordern daher unter dem Motto "Stop EPA" den sofortigen Abbruch der Verhandlungen und Änderungen der neoliberalen EU-Handelspolitik.
Bilateralen und regionalen WTO-plus-plus Abkommen bergen erhebliche entwicklungspolitische Gefahren. Handelspolitische Spielräume, die auf dieser Ebene verloren gehen, werden Entwicklungsländer in der WTO nur schwer verteidigen können. Welches Land wollte einem multilateralen Investitionsabkommen die Zustimmung verweigern, wenn es die darin enthaltenen Bestimmungen - zumindest im Kern - bilateral bereits ratifiziert hat? Für emanzipatorische Kräfte muss dies ein Alarmsignal sein, das zu verstärktem Widerstand mahnt: Die WTO ist nur ein Instrument der neoliberalen Agenda der Industrieländer, mit dem Entwicklungsländer konfrontiert sind. Bilaterale und regionale Abkommen sind weitere Instrumente. Alle drei greifen wie Zahnräder ineinander. Was jetzt Not tut, ist Sand im Getriebe, um die gesamte Handelspolitik der großen Industrieländer neu zu orientieren: hin zu Armutsbekämpfung und Entwicklung, hin zur Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte und dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.
Aus dem Inhalt:
- Die EU als handelspolitische Macht
- Akteure und Institutionen der EU-Handelspolitik
- Der handelspolitische Kurs der EU
- Die EU in bilateralen und regionalen Handelsabkommen - Eine ehrgeizige Mehrebenenstrategie (Analyse am Beispiel vom Mercosur, Cotonou, Euro-Med, ASEAN, Südafrika, Mexiko und Chile)
- Die "WTO plus"-Agenda der EU (Analyse am Beispiel von Dienstleistungen, Singapur-Themen, Landwirtschaft, Geisitge Eigentumsrechte und Streitschlichtungsklauseln)
- EU-Handelspolitik zwischen Multi- und Bilateralismus
Autoren: Klaus Schilder, Christina Deckwirth, Peter Fuchs (alle WEED) und Michael Frein (EED)
Bonn und Berlin April 2005, 56 S.
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