Startseite Kontakt
Veranstaltungen / Aktionen

Green Game: Watson Cup

04.04.2024 | Weed veranstaltet zusammen mit dem Sportverein Polar Pinguin ein nachhaltiges Fußballturnier //18.05.2024 - Berlin, Vorarlberger Damm 33

Mehr erfahren

Fairplay für die Eine Welt

09.01.2024 | Digitales Multiplikator*innen Seminar zum Thema Sport, globale Lieferketten und Fairer Handel am 18.01.25 // 10-12 Uhr

Mehr erfahren



BMZ und NGOs: Gleichlaufende Agenden

01.01.2003: Zu Beginn der neuen Legislaturperiode haben sich die deutschen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit Agenden positioniert, die viele Ähnlichkeiten aufweisen. Schon der neue Koalitionsvertrag las sich wie ein Forderungskatalog der NGO-Community - ein stark verwässerter zwar, aber die deklarierte Reiserichtung ist dieselbe. Die aktuelle Konstellation analysiert Rainer Falk.

Kurz vor Jahresschluß gab es noch einmal Streit. Der Anlaß war die Veröffentlichung des Zehnten Berichts zur "Wirklichkeit der Entwicklungshilfe" durch die Deutsche Welthungerhilfe und terre des hommes (s. Hinweis). Der Bericht der beiden deutschen Mitgliedsorganisationen des EuroStep-Netzwerks attestiert der rot-grünen Bundesregierung, daß sie es in der vergangenen Legislaturperiode nicht geschafft habe, die versprochene Trendwende in der deutschen Entwicklungspolitik einzuleiten und die Abwärtsspirale der Entwicklungsfinanzierung zu stoppen. In den konservativen 1990er Jahren habe durchschnittlich mehr Geld für Entwicklungspolitik zur Verfügung gestanden als unter Rot-Grün.

Das wollte die BMZ-Chefin so nicht stehen lassen. In einem Offenen Brief an die beiden Organisationen verweist Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul auf den Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt (BSP) als den weltweit anerkannten Maßstab zur Bewertung entwicklungspolitischer Leistungen: "Wir haben 1998 eine Quote von 0,26% BSP vorgefunden! Gegenwärtig stehen wir bei 0,27% BSP und werden für das Jahr 2002 voraussichtlich 0,28% BSP erreichen." In absoluten Zahlen mache das für 2001 rund 550 Mio. € mehr aus. Und im neuen Koalitionsvertrag sei das konkrete Zwischenziel von 0,33% bis zum Jahr 2006 verankert. Diese Bundesregierung sei somit die erste, die sich verbindlich auf einen festen Zeitplan zur Steigerung der Entwicklungshilfe festgelegt habe.

Beschönigung als Methode

Der Streit illustriert - jenseits aller Zahlenspielerei - einen Sachverhalt, der die Beurteilung der rot-grünen Entwicklungspolitik derzeit so schwer macht, und er verdeckt einen anderen. Der erste besteht in dem ausgeprägten Bedarf des Ministeriums nach positiver Selbstdarstellung und Beschönigung. Da wird dann schon einmal als bereits vollendete Realität ausgegeben, was politisch erst noch durch- und umgesetzt werden muß. Beispielsweise behauptet die Ministerin seit geraumer Zeit unermüdlich, unter ihrem Einfluß sei die berüchtigte Strukturanpassungspolitik der Weltbank und der IWF "beendet" worden. Dabei belegen auch Untersuchungen aus Instituten, die dem Ministerium nahestehen, wie das Duisburger Institut für Entwicklung und Frieden (INEF), eher das Gegenteil (s. Hinweis): Daß nämlich die neuen Konzepte zur Armutsbekämpfung, etwa die Strategiepapiere zur Armutsreduzieung (PRSP) oder die Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfazilität (PRGF, die Nachfolgefazilität der ESAF beim IWF), allenfalls als partieller und tendenzieller Fortschritt, nicht jedoch als grundlegender Wandel im Sinne einer Abkehr vom neoliberalen Paradigma gewertet werden können.

Der zweite Sachverhalt, der durch öffentlichen Streit wie den eingangs zitierten nur allzu leicht aus dem Blick gerät, besteht in der faktischen Konstellation, die durch eine weitgehende strategische Übereinstimmung zwischen dem rot-grünen BMZ und NGOs in Grundansätzen gekennzeichnet ist. Dafür ist es unerheblich, ob sich die NGOs selbst als Lobby des Ministeriums verstehen oder in der Lage sind, eine kritische Distanz zu bewahren.

Schon die beiden EuroStep-Mitglieder betonten bei der Vorstellung ihres Berichts, daß sie die Bundesregierung in puncto Armutsbekämpfung und in Bezug auf die entwicklungspolitische Bildungsarbeit auf dem richtigen Weg sehen. Nicht zuletzt um dem Terrorismus den potentiellen Nährboden zu entziehen, müsse der Schwerpunkt "noch stärker" auf die Bekämpfung der Armut gelegt werden. Die Memorandumsgruppe aus entwicklungspolitischen Professionellen verfiel in ihrem Wahlkampfmemorandum im letzten Jahr sogar in den Duktus, der deutschen Entwicklungspolitik fehle nach vier Jahren Rot-Grün nur noch eine kräftige Aufstockung der Finanzmittel - ansonsten sei sie auf dem richtigen Weg.

Strategische Gemeinsamkeiten

Selbst die gemeinsame Erklärung des DGB, des entwicklungspolitischen Dachverbandes VENRO und des globalisierungskritischen Netzwerks attac, die Ende letzten Jahres unter dem Titel "Globalisierung gerecht gestalten" (s. Box und Hinweis) veröffentlicht wurde, macht hier keine Ausnahme. Die Erklärung ist sicherlich die fortgeschrittenste und weitreichendste Plattform, die in den letzten Jahren von zivilgesellschaftlichen Kräften in Deutschland formuliert worden ist. Schon die sie tragende Bündniskonstellation ist in dieser Form einmalig. Doch macht ein Abgleich mit den zentralen politischen Aussagen der BMZ-Chefin zum Auftakt ihrer zweiten Amtsperiode (s. Hinweis) deutlich, daß es sich um im Prinzip gleichgerichtete Agenden handelt, die sich allenfalls durch graduelle Unterschiede in der Radikalität und Konkretion, mit der bestimmte Aussagen getroffen werden, voneinander unterscheiden.

Zentraler Schwerpunkt der Nord-Süd-Politik der nächsten vier Jahre ist für die Ministerin die Bekämpfung der Armut - ein Bereich, der auch in der Erklärung der zivilgesellschaftlichen Organisationen den Punkt 1 bildet. Als "zweiten großen und wichtigen Arbeitsbereich" nennt Wieczorek-Zeul die "Sicherung des Friedens", verbunden mit einem starken Plädoyer für politische Lösungen, Abrüstung und Deeskalation und nicht zuletzt die "Ablehnung einer deutschen Beteiligung an einem Irak-Krieg". Interessanterweise fehlen in der attac/DGB/VENRO-Erklärung friedenspolitische Aussagen völlig. (Allerdings erhielt die Bundesregierung Mitte Januar von VENRO erneut Rückendeckung für ihre Position in der Irak-Frage.) Dafür sieht es ganz danach aus, als hätte sich die Ministerin längst auch das Leitmotiv der NGO-Erklärung zu eigen gemacht: Ihr drittes zentrales Thema lautet nämlich nicht mehr und nicht weniger als "Die Globalisierung gerecht gestalten". Und hier läßt die Ministerin kaum etwas aus, was nicht auch den NGOs am Herzen liegt: die Reform der EU-Agrarpolitik und die Öffnung für die Importe aus dem Süden, die Einführung einer Staateninsolvenz für überschuldete Länder, die Finanzierung globaler öffentlicher Güter, auch durch die Erhebung von neuen Nutzungsentgelten oder die Besteuerung der Devisenspekulation (Tobin-Steuer), die konsequentere Verfolgung der Umwelt- und Klimaziele, die Weiterentwicklung der HIPC-Initiative, auch durch die Aufstockung der dafür zur Verfügung stehenden Finanzmittel, die Stärkung der Position der Entwicklungsländer in der gegenwärtigen WTO-Runde usw. usf.. Wie gesagt: Das NGO-Papier enthält zu allen diesen Fragen die weitergehenden und konkreteren Formulierungen, jedoch keine grundlegend andersartigen Alternativen.

Bleibende Widersprüche

Dennoch besteht kein Anlaß, ob der neuen Harmonie in Grundsatzfragen erfreut die Hände in den Schoß zu legen. Denn trotz alledem bleibt noch genügend Raum für Kritik auch an dieser Bundesregierung. Die zentralen Dilemmata der vergleichsweise fortschrittlichen Orientierung, zu der die BMZ-Spitze gefunden hat, ergeben sich nicht zuletzt aus dem Kontext der "neuen Mitte an der Macht" (einschließlich von neoliberal gewendeten Regierungsgrünen). Diese Bedingungen wirken verschärfend auf die ohnehin chronischen Probleme der Entwicklungspolitik als da sind: der Gegensatz zwischen vielversprechenden Ankündigungen und deren schneller Verfallszeit, der Widerspruch zwischen dem Anspruch, Neues versuchen zu wollen, mit dem Alten aber nicht zu brechen, die Verfolgung richtiger Ziele mit den falschen Mitteln (Beispiel Private Public Partnerships), sowie nicht zuletzt die nachgeordnete Rolle des Ministeriums im Kabinett selbst.

Letztere wurde unter Wieczorek-Zeul zwar etwas aufgewertet. Es ist jedoch fraglich, ob Kohärenzgespräche innerhalb der Bundesregierung, wie sie der Ministerin vorschweben, oder die Verankerung der Entwicklungsverantwortung als ressortübergreifende Aufgabe im Koalitionsvertrag ausreichen werden, um die wünschenswerten Resultate zu erzielen. Wahrscheinlich gilt für die Entwicklungspolitik in ganz besonderem Maße, was der Soziologe Oskar Negt kürzlich als allgemeine Rahmenbedingung für die Durchsetzung fortschrittlicher Politik auch unter einer rot-grünen Koalition definierte: die Existenz einer starken Außerparlamentarischen Opposition. Um diese zu entwickeln, dafür ist die gemeinsame Erklärung von attac, DGB und VENRO eine gute Grundlage.

Hinweise: attac/DGB/VENRO, Globalisierung gerecht gestalten, 12 S., Berlin, 5.12.2002. Bezug über www.attac-netzwerk.de Deutsche Welthungerhilfe/terre des hommes (Hg.), Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe. Zehnter Bericht 2001/2002. Eìne kritische Bestandsaufnahme der deutschen Entwicklungspolitik, 47 S., Bonn-Osnabrück, November 2002. Bezug über www.tdh.de Walter Eberlei/Thomas Siebold, Armutbekämpfung in Afrika: Neue Ansätze oder alte Konzepte?, INEF-Report 64, 58 S., Duisburg 2002. Bezug über www.inef.de Interview mit Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, Armutsbekämpfung, Frieden, gerechte Globalisierung. Die Aufgaben der Entwicklungspolitik in den nächsten vier Jahren, in: E+Z, Nr. 12/2002. Bezug über www.dse.de/zeitschr