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Drittes Weltsozialforum in Porto Alegre: Motivationsschub für die Bewegung

01.02.2003: In der Berichterstattung über das jüngste Weltsozialforum (WSF) betonten die einen die gewachsene politische Reife der weltweiten Bewegung für globale Gerechtigkeit. Andere hoben hervor, daß eher plakative Großveranstaltungen die Qualität des Diskurses über Alternativen zur neoliberalen Globalisierung beeinträchtigen. Ingrid Spiller hält den zuweilen schon begonnenen Abgesang auf das Forum für verfrüht und betont in ihrem Bericht für W&E die Motivationskraft, die von Porto Alegre ausgeht.

Das dritte Weltsozialforum brach mit 120.000-130.000 TeilnehmerInnen und einer Verdopplung der Zahl vom letzten Jahr alle Rekorde. Es brachte die Organisation eines solchen Events aber auch an den Rand des Machbaren. Pfadfinderische Fähigkeiten waren gefragt, um sich durch das Dickicht der Veranstaltungsangebote und den Dschungel der Veranstaltungsorte zu schlagen, die auf vier zum Teil weit auseinanderliegende Standorte verteilt waren, oder aber überhaupt ein ausgedrucktes Programm zu ergattern.

Eindrücke und Bewertungen bleiben damit sehr subjektiv, abhängig davon, wieviel Glück man hatte, die ausgewählten Veranstaltungen auch zu finden. Insgesamt hatte das WSF streckenweise den Charakter eines großen Happenings mit sehr guter Stimmung und viel positiver Energie. Veranstaltungen mit bekannten Persönlichkeiten wie Eduardo Galeano, Leonardo Boff, Noam Chomsky, Arundhati Roy oder Aleida Guevara (Tochter von Che Guevara) platzten aus allen Nähten, die ProtagonistInnen wurden streckenweise gefeiert wie Popidole.

Schwerpunkt Krieg und Frieden: Natürlich können wichtige Inhalte auch in Großveranstaltungen mit mehreren tausend ZuhörerInnen transportiert werden. Die eigentliche inhaltliche Arbeit fand aber wohl in den vielen selbstorganisierten Seminaren und Workshops statt, wo es mehr Raum und Zeit gab, sich untereinander auszutauschen und zu vernetzen und das WSF damit vielleicht zu dem zu machen, wofür es weltweit steht: als wichtigen wenn nicht wichtigsten Ort, die globalisierungskritische Debatte weiterzutreiben.

In einem Workshop mit dem italienischen Wissenschaftler Riccardo Petrella zum Thema Wasser wurde z.B. sehr deutlich, wie es gelingen kann, übergreifende Analyse und politische Strategie mit den Alltagserfahrungen vor Ort zusammenzubringen. Petrella erklärte in Portignol (Mischung aus Spanisch und Portugiesisch) mit italienischen Einsprengseln die komplexe weltweite Wasserproblematik. Den TeilnehmerInnen fielen dazu sofort Beispiele aus ihrem Alltag zu Hause ein, und gemeinsam wurde das weitere Vorgehen beraten.

Wenn es überhaupt möglich ist, über die fünf thematischen Achsen des WSF hinaus ("Demokratische, nachhaltige Entwicklung", "Menschenrechte, Diversität und Gleichheit", "Medien, Kultur und Gegen-Hegemonie", "Politische Kraft, Zivilgesellschaft und Demokratie", "Demokratische Weltordnung, Kampf gegen Militarisierung und Friedensförderung") einen besonderen Schwerpunkt zu definieren, dann war es sicherlich die Frage nach Krieg und Frieden, aktuell zugespitzt am Irakkonflikt. Die sehr eindrucksvolle Demonstration zu Beginn des WSF mit nach Schätzungen der Veranstalter rund 140.000 TeilnehmerInnen machte die einhellige Ablehnung einer militärischen Intervention in den Irak deutlich. Außerdem wurde der 15. Februar zum weltweiten Protesttag gegen den drohenden Krieg erklärt. Aber auch der Konflikt zwischen Israel und Palästina war Thema vieler Veranstaltungen. Weitere Schwerpunkte der zentral vom Vorbereitungskomitee organisierten Veranstaltungen bildeten die Suche nach alternativen Handelsbeziehungen weltweit sowie die Diskussion um die Demokratisierung der Medien.

Das Frauennetzwerk Mercosur Feminist Articulation (MFA), das sich nach der Vierten Weltfrauenkonferenz gegründet hatte, nutzte den Rahmen, um die Kampagne gegen Fundamentalismus ("Against Fundamentalism, People are Fundamental!") vorzustellen. Mit roten (manchmal auch blauen) Lippen als Logo und dem Motto "Your Mouth Is Fundamental Against Fundamentalism" wird gegen jegliche Form von Fundamentalismus mobilisiert.

Grenzen des WSF: So vielfältig und beeindruckend das WSF auch war, so haben sich doch deutlich die Grenzen gezeigt. Das Markenzeichen - die politische Vielfalt der ProtagonistInnen von Basisbewegungen über Nichtregierungsorganisationen bis hin zu Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden - birgt zumindest bei einer solch großen Teilnehmerzahl die Gefahr, über allgemeine Problembeschreibungen nicht hinauszukommen und statt über Strategien nachzudenken, ein weiteres Mal bekannte Informationen weiterzugeben. Auch die politische Heterogenität der Standpunkte fand sich wohl eher selten auf einem Podium als vielmehr in parallelen Veranstaltungen wieder.

Da sorgte die offizielle Teilnahme von Brasiliens neugewähltem Präsidenten Lula auf dem WSF schon eher für Diskussionsstoff, aber trotzdem nutzen natürlich mehrere zehntausend Leute die Gelegenheit, Lula einmal "live" zu erleben. Seine Botschaft, die Diskussionen und Anliegen von Porto Alegre nach Davos zum World Economic Forum zu tragen, fand nicht nur Zustimmung. Den Unmut einiger Teilnehmer darüber bekam ein hoher PT-Funktionär im wahrsten Sinne des Wortes zu fühlen, als ihm die Bäckergewerkschaft zwei Tage später eine Torte ins Gesicht warf.

Venezuelas Präsident Chavéz, der sich selbst zum WSF angekündigt hatte, blieb die offizielle Einladung des Organisationskomitees verwehrt. Das hinderte ihn aber nicht daran, trotzdem zu kommen und in einem naheliegenden Veranstaltungsort vor Tausenden von Teilnehmern zu reden.

Das Nachdenken über die Zukunft des Weltsozialforums hat längst begonnen. Um der wachsenden Teilnehmerzahl entgegenzuwirken und wieder mehr Raum für die Weiterentwicklung von Diskussionen zu schaffen, wurde beschlossen, die regionalen Sozialforen zu stärken und das Weltsozialforum 2004 in Indien stattfinden zu lassen, eine Entscheidung, die im Organisationskomitee sehr kontrovers diskutiert wurde. Der Vorschlag, das WSF künftig nur alle zwei Jahre durchzuführen, konnte sich damit zunächst nicht durchsetzen. Auch die zeitliche Parallelität zum World Economic Forum in Davos steht zur Disposition.

Ein Auswertungsseminar Mitte diesen Jahres soll sich darüber hinaus kritisch mit Form und Inhalt des WSF auseinandersetzen und das Verhältnis von zentral organisierten und von den TeilnehmerInnen selbstorganisierten Veranstaltungen neu gewichten. Durch entsprechende und frühzeitige Koordination könnten dann schon im Vorfeld Kontakte und Vernetzungsmöglichkeiten für die Gruppen ermöglicht werden, die zu ähnlichen Fragestellungen arbeiten und Veranstaltungen anbieten möchten, so daß aus dem Nebeneinander ein Miteinander wird.

Der u.a. in der deutschen Presse zu lesende Abgesang auf die innovative Kraft des WSF scheint damit verfrüht. Die beeindruckende Teilnehmerzahl zeigt, wie wichtig das WSF für die globalisierungskritische Bewegung ist. Vor allem für die jüngeren TeilnehmerInnen scheint dieses Treffen einen ungeheuren Mobilisierungs- und Politisierungseffekt zu haben. Das extra eingerichtete Jugendcamp vermittelte einen Eindruck davon. Eine weitere Stärke liegt in der politischen Bandbreite der versammelten AktivistInnen. Das dritte Weltsozialforum hat aus meiner Sicht weniger neue Denkanstöße und Impulse gesetzt, sondern stand stärker im Zeichen der Verbreitung und Verbreiterung. Die thematische Arbeit zu den wichtigen Themen der Globalisierung wie WTO und GATS, Finanzmärkte u.v.a.m. muß nun vor Ort in den Regionen weitergeführt werden.

Ingrid Spiller ist Mitarbeiterin der Heinrich-Böll-Stiftung.