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WEED-Studie: Finanzmärkte und Entwicklung

23.08.2003: Gemeinschaftsstudie mehrerer Autoren, 172 Seiten, Dezember 2002

Die Studie über den Zusammenhang von "Finanzmärkte und Entwicklung" ist im Auftrag von WEED e.V. (Bonn/Berlin) in 2002 erarbeitet worden. Sie dient als Basis für die zukünftige WEED-Arbeit im Bereich "Internationales Finanzsystem". Die Studie ist ein gemeinschaftliches Projekt folgender Autoren: Stefan Beck (Diplom-Politologe), Prof. Dr. Dieter Boris (Hochschullehrer an der Philipps-Universität Marburg), Christian Kellermann (Diplom-Politologe), Kai Mosebach, (Diplom-Politologe) und Daniela Setton (Diplom-Politologin).

Eine Broschüre als Kurzfassung der Studie wird im April 2004 erscheinen.

Zusammenfassung

Teil I: Theoretische Grundlegung

Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen über die jüngsten Finanzkrisen und die Forderungen nach einer Regulierung der internationalen Finanzmärkte wird nur im Kontext der divergierenden theoretischen Annahmen verständlich. In der Diskussion sind die Erklärungsansätze der vorherrschenden neoklassischen Theorie einer fundamentalen Kritik ausgesetzt. Während die neoklassische Theorie unbeirrt an ihrer Vorstellung von der Überlegenheit liberalisierter Märkte festhält, identifizieren postkeynesianische Ansätze Quellen möglicher Instabilität. Als gesellschaftliche Erweiterung der neoklassischen ökonomischen Theorie angetreten, erfreuen sich seit einiger Zeit neoinstitutionalistische Erklärungsmuster, die den Fokus auf die Finanzsysteme in den Krisenländern richten, zunehmender Beliebtheit in den Krisendiagnosen und Reformvorschlägen. Ein Blick auf die methodologischen Grundlagen weckt jedoch Zweifel an der theoretischen Konsistenz und Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes. Trotz der großen Anzahl an Beiträgen weist die Diskussion um eine Neue Finanzarchitektur deshalb auch in politik- und gesellschaftswissenschaftlicher Hinsicht noch Lücken auf. Eine stärkere Integration institutionalistischer, polit-ökonomischer und hegemonietheoretischer Perspektiven könnte die Diskussion noch bereichern.

Das internationale Finanzsystem hat sich in den letzten fünfzig Jahren entscheidend verändert: konstruiert als politisches Großprojekt, das von dem politischen Willen der Disziplinierung der internationalen Kapitalbewegungen getragen war, transformierte es sich in ein offenes, liberales Finanzsystem, das die Finanzmärkte als Paradebeispiel globalisierter Märkte darstellte. Diese Transformation ist auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen und keineswegs als linearer Prozess zu begreifen. Bestandteile dieses Prozesses waren:

  • der politische Wandel vom Konzept des embedded liberalism hin zu neoliberalen Vorstellungen der Regulierung der internationalen Finanzordnung,
  • die Strukturveränderungen der Finanzmärkte, die die Eigendynamik der Finanzmärkte forcierte,
  • die Restrukturierung der Finanzindustrie, die in die regulative Restrukturierung der Finanzsysteme eingebunden war und die Entwicklungsprozesse auf den Finanzmärkten durch ihre profitorientierten Strategien vorantrieb und
  • die internationale Integration von Produktion und Handel, die ein verändertes Anforderungsprofil an Finanzdienstleistungen zur Konsequenz hatte.
  • Diese Prozesse haben durch ihr Zusammenwirken und gegenseitiges Bedingungen zum Zusammenbruch der internationalen Finanzordnung von Bretton Woods geführt und damit die strukturellen Voraussetzungen für die Finanz- und Währungskrisen der 1990er Jahre geschaffen.

Teil II: Währungs- und Finanzkrisen in Schwellenländern - ein internationaler Vergleich

In diesem Teil werden einige der Finanzkrisen der 90er Jahre näher beleuchtet. Die Auswahl der Krisenländer bzw. -regionen fiel auf Mexiko (1994), (Süd-)Ostasien (1997f.), Brasilien (1999) und Argentinien (2001f.), weil sie allesamt Dilemmata resultierend aus Erfordernissen der jeweiligen Industrialisierungsstrategien, Liberalisierung des Kapitalverkehrs, Wechselkursanbindungen und Verschuldung teilten.

Die lateinamerikanische Entwicklung ist in besonderer Weise durch die Schuldenkrise der achtziger Jahre geprägt. Im Gegensatz zu den südostasiatischen Ländern gelang es den lateinamerikanischen Ökonomien nicht, sich durch eine forcierte Exportstrategie aus der "Schuldenfalle" zu befreien. Zentraler Grund war, dass die Schuldenkrise für die lateinamerikanischen Ökonomien im Kollaps des importsubstituierenden Industrialisierungsmodells mündete. Die neoliberalen Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank trugen zudem dazu bei, dass die sozioökonomischen Strukturen Argentinien, Brasiliens und Mexikos einem Anpassungsschock ausgesetzt wurden. Die stagflationären Tendenzen versuchten die neoliberalen Reformkonzepte zunächst mit orthodoxe Stabilisierungspolitiken zu bekämpfen. Die Wiederherstellung der internationalen Zahlungsfähigkeit war dabei oberstes Leitprinzip des Schuldenmanagements von IWF und Weltbank.

Die Währungs- und Finanzkrisen in Lateinamerika können - im Gegensatz zu den asiatischen Finanzkrisen - zum Teil als sovereign debt crisis bezeichnet werden, da die lateinamerikanischen Staaten eine aus der Schuldenkrise herrührende hohe Auslandsverschuldung aufweisen. Diese "historische Last" sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass auch der private Sektor in Lateinamerika im Zuge der neoliberalen Öffnung der neunziger Jahre seine Auslandsschuld erheblich erhöht hat. Ähnlich wie in den südostasiatischen Krisenländern ist es daher auch in Lateinamerika zu einer privaten Schuldenkrise gekommen, die zum Teil in einer gefährlichen Auslandsverschuldung dieses Sektors begründet liegen.

Anders als die meisten Länder Lateinamerikas industrialisierte sich der südostasiatische Raum vornehmlich über den gezielten Aufbau einer Exportindustrie. Allerdings spielten importsubstituierende Phasen einen entscheidenden Beitrag bei der Diversifizierung der industriellen Strukturen und ermöglichten erst den Aufstieg zu höheren Wertschöpfungsniveaus. Konkurrenzfähige Produkte und günstige geopolitische Konstellationen führten zum "East Asian Miracle". Trotz ungewöhnlich hoher Sparquoten in den Krisenländern Thailand, Indonesien, Malaysia, Philippinen und Südkorea konnte die hohe Investitionsquote nur mit Hilfe eines Nettokapitalimports finanziert werden. Dafür mussten jedoch die Wechselkurse an den Weltwährungsanker, den US-Dollar, gekoppelt werden. Dies führte bei einem gleichzeitig liberalisierten Kapitalverkehr zur Unterminierung der nationalen Steuerungsfähigkeit der Geld-, Fiskal- und Wirtschaftspolitik. Ein immenser Angebotsdruck von Kapital aus den kapitalistischen Zentren führte im Vorfeld der Krise zu einer gefährlichen Verschlechterung der Leistungsbilanzen, was den Druck auf die Währungsankerregimes stark erhöhte. Dieses Spannungsverhältnis entlud sich am 2. Juli 1997 in Bangkok, als die thailändische Währung, der Baht, seinem Marktschicksal überlassen werden musste. Aufgrund der privaten Verschuldungsstruktur transformierte sich die Währungskrise unmittelbar in eine Liquiditäts- und Solvenzkrise mit verheerenden Folgen für die Volkswirtschaften.

Finanzpanik, spezifische Verhaltensmuster internationaler Investoren und die Vernetzung der südostasiatischen Ökonomien über Handels- und Finanzverflechtungen führten zur "Ansteckung" des asiatischen Raums in der Folge des Baht-Crashs.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die spezifische Entwicklungsstrategie eine rigide Wechselkurspolitik erforderte, die bei übermäßigem Nettokapitalimport zur Verschlechterung der Bilanzen und somit zur Krise führen musste. Das gängige neoliberale Argument, die Länder litten unter Cronyism (Vetternwirtschaft und Verfilzung) und förderten somit Ineffizienzen trifft nur zum Teil zu und verkennt die Multikausalität der Asienkrise. Die Asienkrise hatte in ihrem Ausmaß global systembedrohenden Charakter - das Versagen des IWF und die tiefe Rezession der Region heizten die Reformdebatte um die NIFA nachhaltig an.

Teil III: Die Auseinandersetzungen um eine Neue Internationale Finanzarchitektur

Reformvorstellungen zum Bereich der internationalen Finanzarchitektur lassen sich in die Bereiche mikro- und makroökonomische Reformen unterteilen. Während im sechsten Kapitel die Auswirkungen der Reform des Baseler Akkord diskutiert werden, widmet sich das siebte Kapitel makroökonomischen Reformkonzepten (Kapitalverkehrskontrollen, Devisentransaktionssteuer und Weltwährungssystem). Die Diskussion der neuerdings wieder aufgelebten Idee eines internationalen Insolvenzrechts wird im achten Kapitel resümiert.

Der Strukturwandel der Finanzmärkte hat auch die bereits bestehende internationale Regulierung von Finanzmärkten und Finanzmarktakteuren herausgefordert. Die zur Zeit verhandelte Revision des Baseler Akkords ist für Entwicklungs- und Schwellenländer von Bedeutung, da der alte Baseler Akkord von 1988 die Vergabe von kurzfristigen internationalen Bankkrediten an Nicht-OECD-Staaten begünstigt hat. Die Einführung von bankeninternen Risikomodellen zur verstärkten Selbststeuerung des Bankensektors, die den Kern der Reformanstrengungen von Basel II ausmacht, droht die Entwicklungsländer aufgrund ihrer geringeren Bonität vom Zugang zum internationalen Kreditmarkt abzuschneiden. Es zeigt sich, dass die eigentliche Agenda der Revision des Baseler Akkords darin zu liegen scheint, die Vergabe von internationalen Bankkrediten an Entwicklungsländer zu dämpfen und statt dessen den Zufluss von Portfoliokapital und Direktinvestitionen zu fördern.

Allerdings kann man von der nur 'richtigen' Regulation internationaler Finanzmarktakteure - wie es im offiziellen Diskurs oft zu hören ist - sowohl eine Stabilisierung der Kapitalflüsse in die Schwellen- und Entwicklungsländer als auch eine Reduktion der Volatilität internationaler Finanzmärkte kaum erwarten, denn deren Ursprung ist genuin makroökonomisch. Das Grundproblem der Schwachwährungsländer im Kontext einer internationalen Währungskonkurrenz und liberalisierter Vermögensmärkte besteht darin, sich gegen zumeist höchst volatile Kapitalzuflüsse zu schützen und die Risiken von Nettokapitalzuflüssen auf ihre Ökonomien abzuwehren. Hierzu stehen vielfältige Instrumente zur Verfügung:

  • Den zeitlich beschränkten Einsatz von Kapitalimportkontrollen etwa empfiehlt sogar das Forum für Finanzstabilität (FSF), um negative Effekte des zyklischen Zuflusses von kurzfristig orientiertem Kapital auszuschalten. Im Gegensatz hierzu sollte diese Form der Kapitalsteuerung jedoch nicht temporär beschränkt werden, sondern als permanentes Instrumentarium zur Verfügung stehen. Kapitalimportkontrollen stellen ein geeignetes Instrument dar, mit dem Entwicklungsländer die makroökonomisch nachteiligen Wirkungen von Nettokapitalimporten dämpfen können.
  • Komplementär zu diesem Instrument verhält sich eine zweistufige Devisentransaktionssteuer.

Es ist allerdings zu bezweifeln, dass Kapitalimportkontrollen und Devisenmarkttransaktionssteuern alleine die Währungs- und Finanzkrisen hätten verhindern können.

  • Daher ist es notwendig, beide Konzepte in ein kooperatives Weltwährungssystem einzubetten.

Die Instabilität der Leitwährungen des Multiwährungsstandards führt auch zu Interferenzen des internationalen Vermögensmarktes. Eine Stabilisierung dieser Währungen müsste konsequenterweise im Kontext eines Systems fester Wechselkurse erfolgen. Die feste Verankerung der Leitwährungen hat für die Peripherie den besonderen Effekt, dass sie den Währungsblock der Industrieländer als nominellen Anker benutzen könnten und von abrupten Währungsschocks - wie etwa im Vorlauf der Asienkrise - geschützt wären. Dieses System fester Wechselkurse wird jedoch zur Stabilisierung der Weltwirtschaft nicht ausreichen, wenn es nicht gelingt die Leistungsbilanzströme zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern umzukehren.

  • Um die Vermögenssicherungsqualität der Währungen der Entwicklungsländern zu stärken, müssten die Industrieländer nachhaltige Leistungsbilanzdefizite hinnehmen. Denn nur Länder mit Netto-Vermögenspositionen sind überhaupt in der Lage, eine souveräne Geldpolitik durchzuführen.

Der Einzug der Idee eines internationalen Insolvenzrechts in den Kanon der Reformvorschläge für die NIFA schließlich sollte nicht unbedingt als "Paukenschlag in Washington" (Heribert Dieter) bezeichnet werden. Ein wirklicher Paukenschlag wäre dies unseres Erachtens erst dann, wenn die Einführung eines internationalen Bankrottstandards eine fundamentale Abweichung vom sog. Washington Consensus bedeuten würde. Das wäre aber gerade dann nicht gegeben, wenn die Entscheidungs- und Abwicklungsinstanz einer nationalen Insolvenz von einem dem IWF angegliederten Forum übernommen würde

  • Dennoch befürworten wir den Vorschlag eines Internationalen Insolvenzrechts, da es vor allem disziplinierenden Charakter auf Investitionsentscheidung großer institutioneller Investoren und Banken aus den Zentren haben wird.

Außerdem würde die Realisierung eines Insolvenzverfahrens für Staaten eine wichtige Regelungslücke schließen, da die Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs bislang nicht mit einem entsprechenden Regelwerk ausgekleidet wurde, das im nationalen Raum als selbstverständlich betrachtet wird. Aus Gründen der Legitimation sollte das Schiedsgericht jedoch nicht beim IWF angesiedelt sein, sondern vielmehr in das Rahmenwerk des UN-Systems eingebettet werden.

Zuletzt geändert: 26.06.2003