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Ein Schuldenerlass mit vielen Fallstricken

01.10.2005: Bei genauerem Hinsehen ist der Schuldenerlass eine Mogelpackung: er ist bei weitem nicht ausreichend, es gibt kein zusätzliches Geld aber problematische Konditionen

von Daniela Setton

Zum Ende der Jahrestagung von IWF und Weltbank, die am 24. und 25. September 2005 in Washington stattfand, verkündeten IWF Chef Rodrigo Rato und Weltbankpräsident Paul Wolfowitz feierlich, dass nun der Weg für die Umsetzung der G8-Entschuldungsbeschlüsse bereitet worden wäre. Im Prinzip können nun 100% der Schulden, die bis zu 38 hochverschuldete arme Länder beim IWF, bei der Weltbank bzw. der Internationalen Entwicklungsassoziation (IDA) und bei der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) haben, gestrichen werden. Dabei handelt es sich um einen Schuldenberg von ca. 56 Mrd. US-Dollar. Auf die Weltbank entfallen dabei ungefähr 42 Mrd. US-$, auf den IWF ca. 6 Mrd. US-$ und auf die Afrikanische Entwicklungsbank ca. 8 Mrd. US-$.

Diese Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn der Deal ist immer noch nicht unter Dach und Fach. Wie viele Länder im Rahmen der Initiative tatsächlich in den Genuss eines Schuldenerlasses kommen, wird sich noch zeigen müssen. Und trotz aller PR-Anstrengungen von G8, IWF und Weltbank wird der Schuldenerlass äußerst bescheiden ausfallen.

Nicht weitreichend genug

Ein erstes Problem ist die begrenzte Länderzahl. Bei der Weltbank sind Länder zugangsberechtigt, die die Entschuldungsinitiative für hochverschuldete arme Länder (HIPC) bis zum Abschlusszeitpunkt ("Completion Point") durchlaufen haben. Dies trifft derzeitig nur auf 18 Länder zu (davon 14 afrikanische und 4 lateinamerikanische Länder), 20 weitere HIPC-Länder können sich qualifizieren. Beim IWF geht es um insgesamt 37 Länder. Neben 35 HIPC-Ländern (ausgenommen sind der Sudan, Somalia und Liberia) werden mit Tadschikistan und Kambodscha auch zwei Länder dabei sein, die nicht Teil der HIPC-Initiative sind. Anders als bei der Weltbank wurde als Zugangskriterium eine jährliche Einkommensobergrenze von 380 US-Dollar pro Kopf definiert, unabhängig vom Verschuldungsgrad der Länder. Damit soll ein Konflikt mit dem IWF-Grundsatz auf Gleichbehandlung aller Mitgliedsländer umschifft werden. Eine definitive Länderliste gibt es jedoch auch beim IWF noch nicht.

Darüber hinaus erstreckt sich die Laufzeit der Kredite, die erlassen werden, bei der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank auf bis zu 50 Jahre. Beim IWF handelt geht es um 10 Jahre. Selbst wenn alle angekündigten 37 bzw. 38 Länder tatsächlich in den Genuss eines 100%igen Schuldenerlasses bei den drei Institutionen kommen sollten, würde das bis zu 56 Mrd. US-$ schwere Entschuldungspaket jährlich auf etwas über 1 Mrd. US-$ zusammenschrumpfen. Denn für die Länder macht sich der Schuldenerlass anhand des Wegfalls der jährlichen Schuldendienstzahlungen bemerkbar. Angesichts der 19 Mrd. US-$, die allein afrikanische Länder im letzten Jahr für die Bedienung ausländischer Schulden aufbringen mussten, ist dies nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Gesamtverschuldung der Entwicklungsländer beträgt über 2 000 Mrd. US-$.

Es ist also ein Problem, dass wichtige Schuldenkategorien - z.B. private Schulden oder Schulden bei anderen Staaten - in den Schuldenerlass gar nicht erst mit einbezogen sind. Auch sind die Entwicklungsländer bei insgesamt 19 multilateralen Institutionen verschuldet, darunter die regionalen Entwicklungsbanken. Da die Interamerikanische Entwicklungsbank z.B. in Lateinamerika mehr als die Weltbank verleiht, ist ein großer Teil der Schulden von diesem sog. "100%igen Erlass" überhaupt nicht einbegriffen. Bei einigen Ländern bedeutet dies, dass 50 - 80% des gesamten Schuldenberges nach dem Erlass übrig bleiben. So wird Bolivien unter der derzeitigen Initiative nur einen ca. 15,8%igen Schuldenerlass erhalten. Statt 408 Millionen US-$ müsste es dann ‚nur’ noch 343,7 Millionen US-$ an ausländische Gläubiger zahlen.

Das hier mehr getan werden muss, ist offensichtlich. Die Weltbank selbst schätzt 50 Länder als hoch verschuldet ein. Laut UNO-Angaben brauchen sogar über 60 Länder einen 100%igen Erlass aller ihrer Schulden, um auch nur die Internationalen Entwicklungsziele (MDGs) zur Halbierung der Armut bis 2015 zu erreichen.

Problematische Konditionalitäten

Den Schuldenerlass gibt es jedoch nicht ‚umsonst’, sondern die Länder müssen erst bestimmte Auflagen erfüllen. Beim IWF sollen sie eine ‚vernünftige Politik’ und gute Regierungsführung ‚gezeigt haben’, bei der Weltbank ist die ‚Aufrechterhaltung‘ von ‚vernünftiger Wirtschaftspolitik’ und ‚guter Regierungsführung’ erforderlich. IWF-Chef Rato sagte nach der Jahrestagung zur Presse, dass die Konditionalitäten angewendet werden sollen, die schon im Rahmen der HIPC-Initiative angewendet würden. In diesem Rahmen mussten einige Länder bereits jahrelange Strukturanpassungsmaßnahmen von IWF und Weltbank durchführen, mit hochumstrittene Politikvorgaben wie die Liberalisierung des Handels und des Finanzsystems, rigiden Sparvorgaben für die öffentlichen Haushalte, Lohnkürzungen, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte sowie die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen. Sollte es hier eine Fortsetzung geben, wäre dies ein hart erkaufter Schuldenerlass, der die Kontrolle von IWF und Weltbank über die Länder verstärkt.

Darauf deutet auch ein von Rato nicht näher definiertes follow up hin, das auch nach dem Schuldenerlass weitere Kontrollmöglichkeiten enthalten soll. Es scheint hinter den Kulissen noch nicht definitiv ausgemacht zu sein, ob der Schuldenerlass bei der Weltbank in Form einer unumkehrbaren einmaligen Streichung des Schuldenstocks oder in Tranchen erfolgen wird. Letzteres könnte bedeuten, dass die Bereitstellung des Schuldenerlasses über den gesamten Zeitraum an die Erfüllung von umstrittenen Konditionen geknüpft sein wird.

Doch die Länder müssen nicht nur vor dem Schuldenerlass bestimmte Konditionen erfüllen, sondern auch danach, und zwar um wirklich mehr in der Tasche zu haben. Denn die durch Weltbank und Afrikanische Entwicklungsbank an die Länder gehenden Mittelzuflüsse werden nach dem Erlass der Schulden in exakt der Höhe der erlassenen Schuldendienstzahlungen gekürzt. Will ein Land von zusätzlichen Ressourcen durch den Schuldenerlass profitieren, muss es eine möglichst hohe Bewertung im Rahmen des hoch umstrittenen internen Rating-Systems der Weltbank haben. Dieses bewertet die Institutionen und die Politik der Länder gemäß Weltbank-Definition von "guter Regierungsführung und guter Wirtschaftspolitik". Diese ‚versteckten’ Konditionalitäten erstrecken sich damit auf fast jedes erdenkliche Politikfeld des jeweiligen Landes.

Kein zusätzliches Geld

Die Industrieländer - allen voran die G8 - haben zugesagt, den aufgrund des Schuldenerlasses bei IWF, Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank anfallenden Zahlungsausfall dollar for dollar durch zusätzliche Einzahlungen wieder auszugleichen. In den nächsten Wochen soll noch eine definitive Einigung in Sachen mittel- bis langfristiger Einzahlungsverpflichtung der verschiedenen Geber erfolgen. Doch die für den Schuldenerlass "zusätzlich" bereitgestellten Mittel werden aller Voraussicht nach aus den bestehenden Entwicklungshilfebudgets bezahlt werden. Faktisch findet hier nur eine Umwidmung von bereits zugesagten Mitteln statt. Dass der Schuldenerlass auf der Jahrestagung als ein großer Beitrag für eine schnellere Erreichung der Internationalen Entwicklungsziele (MDGs) gefeiert wurde, ist nichts als Schaumschlägerei. Der am Rande der Jahrestagung offen ausgetragene Konflikt zwischen BMZ und BMF ist paradigmatisch für dieses Problem. Während der Staatssekretär im BMF öffentlich erklärte, dass die Gelder aus den bestehenden Entwicklungshilfe-Töpfen bereitgestellt werden sollten, behauptete das BMZ, die Mittel würden zusätzlich aufgebracht. Auf Deutschland fällt im Jahr 2006 ein Anteil von 40 Millionen € an, der 2007 auf rund 60 Millionen € ansteigt.

Trotz aller großmundigen Ankündigungen von IWF und Weltbank sind derzeit noch keine präzisen Angaben zum tatsächlichen bevorstehenden Gesamtvolumen des Schuldenerlasses möglich. Der IWF kündigte eine Auszahlung des Schuldenerlasses für Ende 2005 an, bei der Weltbank soll dies noch bis Mitte nächsten Jahres dauern. Es kann also noch böse Überraschungen geben.

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