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Der "Fall Wolfowitz"

10.05.2005: Ein Kommentar zur Nominierung von Paul Wolfowitz als neuen Weltbankpräsidenten

von Daniela Setton

Am 16. März 2005 präsentierte US-Präsident George W. Bush der Weltöffentlichkeit den stellvertretenden US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz als seinen Wunschkandidaten für die Neubesetzung des Amtes des Weltbankpräsidenten. Schon seit Wochen hatten den hinter verschlossenen Türen ablaufenden Auswahlprozess um die Nachfolge des noch bis zum 31. Mai amtierenden James Wolfensohn wilde Spekulationen begleitet. Doch selbst viele für gewöhnlich Gut-Informierte zweifelten bis zum Schluss daran, dass die US-Regierung den Hardliner Wolfowitz tatsächlich nominieren würde.

Immerhin lag die fehlende fachpolitische Eignung von Wolfowitz auf der Hand: Weder kann er im Bankgeschäft noch in der Entwicklungspolitik Erfahrungen geschweige denn Erfolge vorweisen. Schwerer wiegt jedoch sein zweifelhaftes Renommee als Hauptstratege des Irak-Krieges, den er unter bewusster Missachtung völkerrechtlicher Standards mit gezielter Fehlinformation der Öffentlichkeit durchzusetzte. Das klare Bekenntnis zum Unilateralismus macht ihn an der Spitze der zentralen internationalen Entwicklungsbank schlicht inakzeptabel.

Die Nominierung von Wolfowitz stieß so auf wenig Gegenliebe. Heftige Ablehnung kam von Seiten der Entwicklungs- und Schwellenländer, die die Nominierung als klare Provokation auffassten. Vor allem in der arabischen Welt war von einer Katastrophe die Rede. Doch sogar aus der Weltbank selbst drangen kritische und entsetzte Stimmen nach außen. Umwelt- und entwicklungspolitische Organisationen forderten in einem europaweit koordinierten Brief die europäischen Staatschefs zur Ablehnung von Wolfowitz auf. Die Reaktion der europäischen Staatschefs waren jedoch von eher verhaltener Kenntnisnahme gekennzeichnet. Auch die deutsche Bundesregierung blieb höchst diplomatisch und konstatierte schlicht, dass die Nominierung "keine Begeisterungsstürme" ausgelöst habe.

Wolfowitz machte sich derweil schon mal an die anstehende Überzeugungsarbeit - durch Imagepflege. Er versicherte, zutiefst an die Aufgabe der Bank zu glauben und bemühte sich, im rechten entwicklungspolitischen Licht dazustehen: "Menschen zu helfen, die in Armut leben, ist eine noble Aufgabe." Insbesondere die NGOs wurden für ihre wichtigen entwicklungspolitischen Beiträge gelobt und zu wichtigen zukünftigen Gesprächspartnern erkoren.

Dass Wolfowitz tatsächlich knapp zwei Wochen nach der Nominierung, nämlich am 31. März, vom 24-köpfigen Exekutivdirektorium der Weltbank einstimmig ins Amt gewählt wurde, dürfte allerdings kaum auf seine "Charmeoffensive" zurückzuführen sein. Wer allerdings lediglich den USA vorwirft, dass sie der Welt wieder einmal unmissverständlich ihren kompromisslosen Führungsanspruch unter Beweis gestellt hätten, unterliegt einem Irrtum. Übersehen werden darf nicht, dass die Europäer die Hautverantwortung für die Wahl von Wolfowitz tragen - und wie geschickt sie dabei ihre eigenen Interessen durchzusetzen wussten.

Gentlemen’s Agreement

Die ungeschriebenen Regeln dieses ganzen Nominierungs-Schauspiels gehen nämlich auf ein "Gentlemen’s Agreement" aus der Mitte des letzten Jahrhunderts zurück, in dem Europäer und Amerikaner die Posten von IWF und Weltbank unter sich aufteilten. Von den Entwicklungs- und Schwellenländern, die die Leidtragenden dieser "Tradition" sind, wird dieses Verfahren schon lange kritisiert. Doch ohne Erfolg.

So setzten die Europäer 2004 bei der Besetzung der Nachfolge von Horst Köhler im Spitzenamt des IWF nach altem Muster einen europäischen Kandidaten durch. Damit vergaben sie die Chance, die Weichen für ein angemessenes, transparentes und offeneres Verfahren zu stellen - und bereiteten den USA den Boden für die Nominierung von Wolfowitz.

Dessen ungeachtet wäre es den Europäern mit ihrem derzeit 30 prozentigen Stimmrechtsanteil dennoch möglich gewesen, Wolfowitz als Weltbankpräsidenten abzulehnen. Erstens hätte rein stimmtechnisch die Möglichkeit dazu bestanden, zweitens hätten sie sich auf früheres Verhalten der USA berufen können. Diese selbst hatten nämlich 2000 einen Präzedenzfall geschaffen, als sie Caio Koch-Weser als neuen Chef des IWF abgelehnten, weil er ihnen nicht angemessen erschien. So wirkt die Rechtfertigung der europäischen Zurückhaltung durch Heidemarie Wieczorek-Zeul allenfalls fadenscheinig, wenn nicht zynisch, wonach sich der bei einer möglichen Ablehnung von Wolfowitz angeblich vorhersehbare "harte Kampf" mangels fähiger alternativer Kandidaten und Kandidatinnen nicht gelohnt hätte und die Entwicklungsländer ja ohnehin keine Vorschläge gemacht hätten.

Tatsächlich scheinen für die Haltung der Europäer ganz andere Erklärungen plausibel zu sein; schließlich ist noch eine Reihe weiterer wichtiger Positionen zu vergeben. So sicherte die Bush-Administration Europa prompt den Posten des wichtigsten Vizepräsidenten der Weltbank zu. Im Herbst 2005 steht dann die Neubesetzung des Chefpostens der WTO an, den die Europäer mit Pascal Lamy, dem ehemaligen Handelskommissar der EU, besetzen wollen. Einige Anzeichen deuten darauf hin, dass die Amerikaner den Europäern auch hier bereits sehr frühzeitig ihr Entgegenkommen signalisiert haben. Spekuliert wird auch, dass die Europäer noch anderweitig etwas für sich herausholen konnten. So soll es bei dem "transatlantischen Postengeschacher" auch um die anstehende Vergabe des Direktorenpostens des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) und des Chefpostens der OECD, die nächstes Jahr ansteht, gegangen sein.

Insbesondere die Abfolge der sogenannten "Bewerbungsgespräche" von Wolfowitz ist bemerkenswert aufschlussreich. Nach der Nominierung, die am 16. März erfolge, traf sich Wolfowitz am 23. März mit den Exekutivdirektoren, die die Länder der Europäischen Union in der Weltbank vertreten. Am 24. März folgte dann ein Treffen mit dem gesamten Board der Exekutivdirektoren, am 30. März folgten schließlich Gespräche mit Vertretern der EU.

Erst am 31. März dann, am Tag der Entscheidung im Board, befand es Wolfowitz für angebracht, sich mit der sogenannten ‚Gruppe der 11’ zu treffen, also jenen Exekutivdirektoren der Weltbank, die insgesamt 108 Entwicklungs- und Transformationsländer bei der Weltbank vertreten. Was aber gab es da noch zu verhandeln? Das Einverständnis der Europäer lag zu dem Zeitpunkt längst vor und übte den entscheidenden Druck auf die Entwicklungs- und Schwellenländer aus, dem sie sich letztlich beugten. Es blieb ihnen nichts weiter übrig, als am Tag der Entscheidung noch einmal zu betonen, dass die Spitzenposten der Weltbank nach Qualifikation der Kandidaten und nicht nach deren Nationalität zu vergeben seien. Auch brachten sie zum Ausdruck, dass sie einen offenen Auswahlprozess begrüßen würden, der eine weite Zahl internationaler Kandidaten umfasst.

Weltbank in der Glaubwürdigkeitskrise

Für die Weltbank bedeutet die Wahl von Wolfowitz vor allem eine massive Glaubwürdigkeitskrise. Zwar unterliegt die Bank von jeher einem starken amerikanischen Einfluss. Nicht zufälligerweise liegt ihr Sitz nur einige Straßenblocks neben dem des Weißen Hauses und USA genießen als einziges Land ein Veto-Recht. Dennoch ist der besonders enge Draht, den Wolfowitz zum Weißen Haus hat, der eigentliche Grund, warum er den jetzigen Weltbankpräsidenten Wolfensohn ablösen wird. Wolfensohn, der in seiner 10 jährigen Amtszeit das Vertrauen vieler Entwicklungs- und Schwellenländer gewinnen konnte, gilt in Washington schlicht als zu liberal. So ist zu erwarten, dass Wolfowitz versuchen wird, die Weltbank verstärkt an den von Neokonservativen formulierten US-amerikanischen Interessen auszurichten.

Er hat denn auch bereits angekündigt, die Kreditvergabepraxis der Weltbank ins Visier zu nehmen. Das Amt des Präsidenten bietet ihm dafür hervorragende Möglichkeiten. Als solcher ist er Vorgesetzter des Bankpersonals und entscheidet über die Vergabe und Konditionalitäten wichtiger Kredite. Er kann Projekte und Vorhaben blockieren, die unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten sinnvoll sein mögen, aber der US-Regierung nicht genehm sind. Dagegen kann er andere Projekte vorantreiben und den Interessen bestimmter politisch opportuner Länder besonders entgegenkommen. So ist es durchaus wahrscheinlich, dass Wolfowitz für die Weltbank die Hauptrolle beim Wiederaufbau des Irak beanspruchen und das Land zu einem der bevorzugten Empfängerländer machen wird. Außerdem dürfte Wolfowitz sein Amt als Weltbankpräsident auch dazu nutzen, um in den internationalen Entwicklungsdiskurs zu intervenieren.

Dennoch kann Wolfowitz die Weltbank keineswegs nach Gutdünken "umkrempeln". Die entscheidende Frage ist, wie stark die Europäer seinen Kurs mittragen werden. Diese meldeten bei einigen Vorhaben der Amerikaner, wie zum Beispiel dem Rückzug der Weltbank aus den Middle Income Countries wie Indien, China und Brasilien bereits Protest an.

Die Diskussion über den zunehmenden Einfluss der US-Regierung auf die Politik der Weltbank sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um die Glaubwürdigkeit der Weltbank in Sachen Armutsbekämpfung ohnehin schlecht bestellt ist. Es ist zwar unbestreitbar, dass die Weltbank in den letzten Jahren unter Wolfensohn einen positiven Wandel eingeleitet hat. Dazu gehört auch, dass die Armutsbekämpfung als Zielsetzung in viele Programme und Projekte der Weltbank Eingang gefunden hat. Allerdings ist der Erfolg bei der Umsetzung dieser Zielsetzung höchst umstritten. Die wirtschaftspolitischen Rezepte, die die Weltbank den kreditnehmenden Ländern vorschreibt, spiegeln deutlich das marktradikale Leitbild wider, das leider oft Teil des Problems und nicht seiner Lösung ist. Erst jüngst ist die Weltbank wieder in die Finanzierung von großen Infrastrukturprojekten eingestiegen - mit dramatischen ökologischen und sozialen Folgen. Es besteht also nach wie vor ein eklatanter Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Weltbank.

Die Lehren aus dem "Fall Wolfowitz"

Der "Fall Wolfowitz" ist ein Paradebeispiel dafür, wie stark die internationalen Organisationen von unilateraler Interessensdurchsetzung geprägt sind. Das Zauberwort bei der Besetzung von Wolfowitz heißt folglich auch nicht "Armutsbekämpfung" oder "Entwicklung", wie es die Agenda der Bank eigentlich verlangen würde, sondern Kontrolle. Die Weltbank hat enormen Einfluss. Seit ihrer Gründung von 1944 ist sie durch die Gründung weiterer Institutionen zur Weltbankgruppe expandiert und hat sukzessive ihre Aufgaben erweitert. Sie verwaltet globale Fonds, arbeitet in vielen Programmen mit der UN zusammen, koordiniert ihre Politik mit IWF und WTO und mischt in den globalen Foren zur Regulierung der Weltwirtschaft mit. Sie hat als "Wissensbank" eine zentrale Informations- und Deutungshoheit im internationalen Entwicklungsdiskurs. Von zentraler Bedeutung ist zudem, dass sie sich mit dem Instrument der politischen Konditionalitäten erheblichen Einfluss auf die inneren Angelegenheiten vieler Länder der Welt sichern kann - und bereits gesichert hat. So lässt sich kaum ein Entwicklungs-, Schwellen- oder Transformationsland finden, dass noch nicht in den ‚Genuss’ der Strukturanpassungskredite von Weltbank und IWF gekommen ist. Auch darf nicht vergessen werden, dass eine Reihe der mit Weltbankkrediten bezahlten Projekte in den Auftragsbüchern von Unternehmen aus den Industrieländern landet.

Die zentralen Entscheidungen in der Weltbank werden dabei nach wie vor von den Industrieländern dominiert. Dass dies im Interesse der ‚Armutsbekämpfung’ erfolgt, ist zweifelhaft. Bei der Weltbank ist ein entschiedener Kurswechsel erforderlich. Nötig ist die grundlegende Reform der Governance-Strukturen der Weltbank in Richtung auf Demokratisierung und Transparenz. Dazu liegen auch klare Reformvorstellungen zur Erhöhung der Partizipationsmöglichkeiten (voice and vote) der Entwicklungs- und Schwellenländer vor, die jedoch von den USA, aber vor allem von den Europäern, abgeblockt werden. Letztere wären im übrigen längst an der Reihe, mindestens einen ihrer vielen Exekutivdirektoren-Posten an die Schwellen- und Entwicklungsländer abzutreten.

Die Europäer sind jedoch genauso wenig wie die Amerikaner bereit, demokratische Regeln auch konsequent auf sich selbst anzuwenden. Dies zeigt sich nicht nur in der Weltbank, sondern auch in der internationalen Handels- und Umweltpolitik.

Auch die Bundesregierung spielt dieses Spiel hervorragend mit. Der Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und Armutsbekämpfung reicht so weit, bis er anderen außenwirtschaftlichen Interessen nicht zuwider läuft. So machte die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zwar durchaus - diplomatisch korrekt - deutlich, dass sie keine Freundin der Idee eines Weltbankpräsidenten Wolfowitz ist. Doch der Kanzler hatte seine eigene Agenda. Bei der telefonischen Unterrichtung durch Bush versicherte er nach eigenen Angaben sofort, der Wahl von Wolfowitz keine Steine in den Weg räumen zu wollen. Und es spricht nicht allzuviel dafür, dass er sich dabei zuvor vergewissert hat, dass diese Entscheidung auch der "Armutsbekämpfung" zuträglich sein wird.

Was übrig bleibt, ist nicht nur ein "Multilateralismus à la carte", sondern auch eine "Demokratie à la carte": Demokratie oder Armutsbekämpfung werden vorangetrieben -vorausgesetzt, es dient den eigenen Interessen. Mit diesem Prinzip werden jedoch die internationalen Versprechen auf Armutsbekämpfung und Bekämpfung von Umweltzerstörung nicht eingelöst werden. Dafür ist vielmehr ein Multilateralismus nötig, der auf klaren demokratischen Regeln für alle beruht und einen wirklichen Interessensausgleich ermöglicht. Dies ist der Weg, der dem Entwicklungsauftrag der Bank entspricht. Denn die Menschen, die von Armut betroffen sind, müssen sich selbst für ihre Rechte einsetzen können. Politische Partizipation ist die beste Waffe gegen Armut. Folglich ist die grundlegende Demokratisierung der globalen Institutionen der Regulierung der Weltwirtschaft ein notwendiger Schritt. Es wäre verwunderlich, wenn sich die Weltbank unter der Ägide von Paul Wolfowitz in diese Richtung bewegen würde.

Erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 2005

www.blaetter-online.de/archiv.php?jahr=2005&ausgabe=05

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