Startseite Kontakt
Veranstaltungen / Aktionen

Fairplay für die Eine Welt

09.01.2024 | Digitales Multiplikator*innen Seminar zum Thema Sport, globale Lieferketten und Fairer Handel am 18.01.25 // 10-12 Uhr

Mehr erfahren



Wer feiert den Jahrestag der Welthandelsorganisation?

03.01.2005: Eine kritische Bilanz eines Jahrzehnts WTO-Politik

Von Christina Deckwirth

Am 1.1.2005 werden in vielen Vorstandsetagen der Welt und beim Sitz einer großen internationalen Organisation in Genf die Sektkorken knallen. Die Welthandelsorganisation WTO feiert ihr zehnjähriges Bestehen. Aber der Jahrestag der WTO wird nicht überall gefeiert werden, und zwar aus gutem Grund: Der weitaus größte Teil der Weltbevölkerung, vor allem die Armen, kann von der harten Liberalisierungspolitik nicht profitieren.

Die WTO steht für Liberalisierung der globalen Handelsbeziehungen, um - so wird argumentiert - Wohlstand und Entwicklung zu fördern. Was so gut klingt, erweist sich in der Realität als eine höchst einseitige Wohlstandsmehrung. Denn von der Liberalisierung profitieren vor allem die Global Player der Exportwirtschaft, seien es Monsanto, die brasilianischen Zuckerbarone oder RWE. Dies verdeutlichen die wichtigsten Bereiche der WTO-Politik:

· Landwirtschaft: WTO macht Hunger

Das Agrarabkommen der WTO hat in vielen Ländern des Südens durch die Liberalisierung der Agrarmärkte zu einer Flut von Importen geführt, die die heimische Produktion untergraben. Kleinbauern können mit der oft subventionierten Billigkonkurrenz des Agrobusiness nicht mithalten und verlieren ihre Existenzgrundlage. In Indien leben beispielsweise etwa 60 Prozent der Bevölkerung, also 600 Millionen Menschen, von der Landwirtschaft. Die Bedrohung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft führt hier zu massiven sozialen Verwerfungen. Davon zeugt der rasante Anstieg von Selbstmorden unter indischen Bauern: Über 25.000 setzten seit 1997 ihrem Leben ein Ende.

· Industriegüter: WTO behindert Entwicklung

Nicht minder dramatisch sind die Auswirkungen der Liberalisierung bei Industriegütern. Werden die Länder des Südens zu einem massiven Zollabbau gezwungen, zieht dies massive Einnahmeverluste nach sich. Bis zu 40 Prozent ihrer Staatseinnahmen stammen aus Zöllen. Zudem verlieren sie wichtige wirtschaftspolitische Spielräume. Die Strategie der Industrie- und Schwellenländer, schwache Wirtschaftszweige zunächst vor der übermächtigen ausländischen Konkurrenz zu schützen, um sie wettbewerbsfähig zu machen, hatte Erfolg. Die WTO lässt dies im Süden nicht länger zu. Die Leiter auf dem Weg zur wirtschaftlichen Entwicklung wird den Ländern des Südens schlicht weggetreten.

· Patente: WTO verhindert AIDS-Behandlungen

Das TRIPS-Abkommen der WTO gewährt Patenthaltern 20 Jahre lang das alleinige Recht über Herstellung, Gebrauch und Verkauf ihrer Produkte. Die Folge: Viele unentbehrliche Medikamente stehen nur als teure Originale zur Verfügung. Ohne die Konkurrenz von Nachahmerprodukten - so genannten Generika - können Pharmakonzerne Preissteigerungen ungehemmt durchsetzen. Die medizinische Grundversorgung und der Kampf gegen Epidemien wie AIDS geraten ins Straucheln.

· Dienstleistungen: WTO führt zur Privatisierung öffentlicher Aufgaben

Das WTO-Dienstleistungsabkommen GATS hat die Öffnung sämtlicher Dienstleistungssektoren für ausländische Anbieter im Visier: von Bildung über Gesundheit bis hin zur Wasserversorgung. Der Privatisierungsdruck auf öffentliche Dienste und soziale Sicherungssysteme wird dadurch verschärft. Die Folge ist eine Enteignung der Öffentlichkeit durch die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Zum Beispiel Wasserversorgung: Aktuell fordert die EU von 72 Ländern die Öffnung ihres Wassermarktes, um europäischen Konzernen den Weg zu ebnen. Diese haben kein Interesse daran, die Ärmsten mit Wasser zu versogen, sondern mit rigiden Mitteln schnelle Profite durchzusetzen.

Das erste WTO-Jahrzehnt geht allerdings nicht ohne Risse im neoliberalen Gebälk vorüber. Das Scheitern der WTO-Ministerkonferenz in Seattle im Jahr 1999 wurde zu einem wichtigen Identifikationsmoment der globalisierungskritischen Bewegung. Im Sommer 2003 wurde auch in Cancún die Ministerkonferenz nach dem Aufbegehren zahlreicher Entwicklungsländer ergebnislos abgebrochen. Doch nicht allein Nord-Süd-Differenzen stehen im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen um die WTO. Es geht um den Konflikt private Eigentumsinteressen versus öffentliche Anliegen wie Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung, Menschenrechte und Umweltschutz - im Norden wie im Süden. Und bei den Kleinbauern in Indien oder den AIDS-Kranken in Afrika geht es sogar um das nackte Überleben.

Zehn Jahre WTO verdeutlichen: Liberalisierungspolitik ist keine Politik zugunsten der Armen. Im Gegenteil: Die WTO verleiht den Regeln zugunsten der Reichen Verfassungsrang auf globaler Ebene. Der Öffentlichkeit werden damit politische Handlungsspielräume genommen. Doch diese sind nötig, um Regeln zum Wohle der Allgemeinheit, insbesondere der Armen, zu verankern. Nach der bisherigen Bilanz der Liberalisierungspolitik können die Kritiker der WTO im Grunde nur eines sagen: Zehn Jahre harte Liberalisierungspolitik der WTO sind mehr als genug. Und deswegen wird der Jahrestag der WTO auch nur in einigen Vorstandsetagen gefeiert.

Siehe auch Pressemitteilung von Weed und Attac unter www.weed-online.org/themen/wto/62631.html

Dieser Artikel als pdf-Datei:

Zugehörige Dateien:
10 Jahre WTO _ Christina Deckwirth.pdfDownload (49 kb)