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WEED-News Nr. 4 aus Cancun

12.09.2003: - Nr. 4 - Der dritte Tag

  
 

Transparent gegen Konzernrechte, Cancun-Innenstadt, 12.9.03

  1. Hey Lula, it´s Bush calling...Der Konflikt um ein neues Agrarabkommen und das Gerangel hinter den Kulissen
  2. Bericht von Pia Eberhardt
  3. GATS und Finanzdienstleistungen - ein Thema fuer NGOs? WEED und SOMO organisierten Workshops im NGO-Centre in Cancun
  4. Bericht von Christina Deckwirth


1. Hey Lula, it´s Bush calling - Der Konflikt um ein neues Agrarabkommen und das Gerangel hinter den Kulissen

Bericht von Pia Eberhardt.

Schon im Vorfeld von Cancún war klar, dass die Landwirtschaft eines der heißesten Eisen auf der Ministerkonferenz werden würde. Nachdem monatelange Gespräche in Genf zu keiner Einigung in Bezug auf den Umfang und die Stoßrichtung eines neuen Agrarabkommens - die sogenannten "Modalitäten" - geführt hatten, kam wenige Tage vor Beginn der Konferenz in Cancún plötzlich Bewegung auf: Zuerst legten Mitte August die EU und die USA ein gemeinsames Papier vor, in dem sie einerseits versuchten, ihre Differenzen zu überwinden, welches sie andererseits aber auch als Entwurf für ein Modalitätenpapier anpriesen. Der Gegenvorschlag ließ nicht lange auf sich warten: Angeführt von Indien, China und Brasilien legten 17 Entwicklungsländer weniger Tage später einen eigenen Text vor, was einen Wutanfall des Vertreters der EU hervorrief, der in dem Vorschlag der "G17" die Heraufbeschwörung des Nord-Süd Konflikts sah.

Zu Beginn der Konferenz lagen dann noch zwei weitere Texte auf dem Tisch der Verhandler: Die Passage zu Landwirtschaft im Entwurf der Ministererklärung und ein Vorschlag von 23 Entwicklungsländern (inzwischen G32), darunter zahlreiche am wenigsten entwickelte Länder (LDCs), der die Sonderbehandlung der Länder des Südens in den Vordergrund stellt. Mit diesem Textquartett war die Konfliktkonstellation in den Agrarverhandlungen, von der die ersten drei Verhandlungstage geprägt werden sollten, perfekt: Auf der einen Seite EU und USA, deren Vorschlag in dem Entwurf der Ministererklärung weitgehend aufgenommen wurde, auf der anderen die G17, die inzwischen zur G24 angewachsen sind und als letzte Gruppe die anderen Entwicklungsländer, inzwischen G31 genannt.

Im Wesentlichen geht es um altbekannte Fragen: Werden die Industrieländer bereit sein, ihre Exportsubventionen und andere handelsverzerrende Subventionen abzubauen und ihre Märkte für Produkte aus Entwicklungsländern weiter zu öffnen? Erhalten die Länder des Südens Mechanismen, durch die sie ihre Landwirte effektiv vor Fluten billiger Importprodukte schützen können? Und welche besondere Behandlung wird Entwicklungsländern zugestanden?

Die Konfliktlinien haben sich im Vergleich zu früheren Ministerkonferenzen jedoch verlagert. Zwar weigern sich EU und USA weiterhin, ihre Subventionen und Zölle zu senken und drängen gleichzeitig darauf, dass die Länder des Südens ihre Märkte weiter öffnen. Mit der Koalition der G24 haben allerdings eher ungewöhnliche Partner den Weg zueinander gefunden. Während Indien ein starkes Interesse daran hat, seine Märkte zu schützen, gehören die meisten anderen Länder der Gruppe zu den Agrarexporteuren und drängen auf eine weitere Liberalisierung im Agrarbereich. Laut indischem Handelsminister habe man sich zusammengetan, um zu verhindern, dass ein neues Agrarabkommen allein die Handschrift von EU und USA trage. Man wolle an zentralen Stellen Schneisen öffnen für die eigenen Positionen, um sie nach Cancún weiter auszubauen. Diese Positionen sind es, die sowohl der EU als auch den USA großes Kopfzerbrechen bereiten: Die völlige Abschaffung aller Exportsubventionen, einen wesentliche höheren Abbau von Zöllen und Subventionen in Industrie- als in Entwicklungsländern, sowie die Abschaffung der bestehenden Schutzklausel des Agrarabkommens für Industrieländer.

Die Antwort auf beiden Seiten des Atlantiks lautet: Druck, Druck und nochmals Druck. Die EU nimmt die Staaten Afrikas und der Karibik (AKP) ins Visier, für die US Seite soll Bush persönlich bei Mitgliedern der G23 angerufen und sie aufgefordert haben, ihr Papier zurückzuziehen. Beim brasilianischen Präsidenten Lula hat es in dieser Nacht angeblich gleich 4 Mal geklingelt haben, worauf die brasilianische Delegation heute eine Pressemitteilung herausgegeben hat, in welcher sie die WTO Mitglieder auffordert, sich auf die Inhalte der Verhandlungen und nicht weiter auf "Attacken" zu konzentrieren.

Dennoch kündigte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe zu Landwirtschaft heute an, er sehe genug Übereinstimmungen, am morgigen Samstag einen Entwurf für ein neues Abkommen vorzulegen. Dazu werden heute Abend weitere "Green Room" Gespräche erwartet, in denen nur ein kleiner Teil der WTO Mitglieder hinter verschlossenen Türen an einem Deal schneidert. Auch gestern Abend und heute Nacht hat es nach Angaben einiger Delegationen bereits solche Green Room Treffen gegeben.

Im Gerangel der beiden Blöcke - EU und USA auf der einen und die G24 auf der anderen - könnte eines auf der Strecke bleiben: Das Schicksal von Millionen von Kleinbauern, die von einer Marktöffnung in Industrieländern kaum profitieren würden und denen effektive Schutzmechanismen gegen Importwellen weiter verweigert würden. Die G32 Gruppe ist angetreten, um ihre Interessen stärker zu vertreten und die Lücken zu füllen, die ihrer Ansicht nach auch im Vorschlag von Indien, Brasilien und Co. vorhanden sind. So fordern sie einen umfassenden Schutzmechanismus und keine weitere Liberalisierung bei bestimmten sensiblen Produkten für Entwicklungsländer ("strategische Produkte"). In dieser Position spiegelt sich eine grundsätzlichere Skepsis am Marktzugangs- und Exportdogma wieder, die von Bauernorganisationen wie "La Via Campesina" geteilt wird: Sie betonen immer wieder, dass ein Exportanstieg nicht kleinbäuerlichen, sondern agrar-industriellen Interessen dient, zur Vernachlässigung der Produktion von Grundnahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung führt und damit die Hungerproblematik in den armen Ländern der Welt weiter verschärft. Da das Ziel der WTO einzig die Liberalisierung des Handels ist, fordert La Via Campesina, den Landwirtschaftsbereich ganz aus der Organisation herauszunehmen. Eine Forderung, die in den Green Rooms heute Nacht sicherlich nicht diskutiert werden wird.


GATS und Finanzdienstleistungen - ein Thema fuer NGOs? WEED und SOMO organisierten Workshops im NGO-Centre in Cancun

Bericht von Christina Deckwirth.

Finanzdienstleistungen werden auch das Nervensystem einer Volkswirtschaft genannt. Als wichtige Infrastruktur bilden sie eine Grundlage fuer die Entwicklung eines Landes. Im Rahmen des GATS soll die nationale Regulierungshoheit ueber Finanzdienstleistungen massiv eingeschraenkt werden. Fuer Myriam Vander Stichele von der hollaendischen Nichtregierungsorganisation SOMO (Research Centre on Multionational Corporations) war dies Anlass genug, NGOs weltweit zu ermutigen, sich mit dem Thema GATS und Finanzdienstleistungen auseinander zu setzen. Dazu organisierte sie gemeinsam mit WEED einen Workshop im NGO-Centre in Cancun.

"Finanzdienstleistungen sind ein sehr wichtiges Thema, das leider noch viel zu wenig von NGOs beachtet wird. Im Rahmen der GATS-Kampagnen muessen wir dieses Thema dringend in Angriff nehmen", begruendet Myriam ihre Motivation fuer diesen Workshop. Auch ihr ist dabei bewusst, dass das Thema nicht fuer jeden sofort zugaenglich ist. Obwohl jeder im Alltag sehr viel mit Finanzdienstleistungen zu tun hat, muesse es die Aufgabe von NGOs sein, Zugang zu dem hochkomplexen Feld zu bieten. Denn gerade in Entwicklungslaendern zeigen sich schon jetzt die Risiken und Folgen eines deregulierten Finanzdienstleistungssektors, der durch das GATS noch weiter liberalisiert werden soll. Verschiedene Workshopteilnehmer berichteten in Cancun von grossen westlichen Banken, die kleineren lokalen Banken zur Konkurrenz werden. Nach einer Niederlassung wuerden sie ausserdem auch andere Dienstleistungen aus dem Ausland in Anspruch nehmen, wie z.B. grosse westliche Anwaltskanzleien. Zugang zu Finanzdienstleistungen kaeme ohne effektive Regulierung nur noch bestimmten Bevoelkerungsteilen zu Gute, denn auch Banken wenden das beruechtigte Prinzip des "Rosinenpickens" an.

Dass es nicht leicht ist, NGOs fuer das Thema Finanzdienstleistungen zu sensibilisieren, hat der Workshop verdeutlicht. Das Thema erscheint hoechst komplex und technisch, so dass es nur schwer kampagnentauglich gemacht werden kann. Dennoch: Ein Ergebnis des Workshops war auch, dass viel Potential in dem Thema liegt. Erfolgversprechend erscheint es, damit an bereits bestehende Aktivitaeten im Bereich IWF/Weltbank und vor allem an die GATS-Kampagne anzuschliessen sowie Verbraucherorganisationen anzusprechen. Mit einer kuerzlich von WEED veroeffentlichten Broschuere zum Thema Finanzdienstleistungen und GATS und dem Workshop in Cancun ist ein guter erster Anfang fuer Kampagnenarbeit gelungen.

Die Broschuere "Finanzdienstleistungen in der WTO: Lizenz zum Kassieren?" von Isabel Lipke und Myriam Vander Stichele kann bei WEED bestellt werden: www.weed-online.org/themen/gats/18447.html


Weed-News ist der Email-Newsletter von WEED. Während der 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancún/Mexiko berichten wir ausnahmsweise einmal täglich von ,vor Ort' mit einer kleinen Zusammenstellung von Informationen, Analysen und Erfahrungsberichten.

Redaktion: Peter Fuchs, Nicola Sekler, Pia Eberhardt & Christina Deckwirth

Lob, Kritik und Reaktionen für diese Ausgabe senden Sie bitte an Pia.Eberhardt@weed-online.org


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Absperrzaun in Cancun am Vortag der Demo