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WEED-News Nr. 2 aus Cancun

11.09.2003: Nr. 2 - 10./11. September 2003 - Der erste Verhandlungstag

  
 

Pressekonferenz von Gerechtigkeit Jetzt - Die Welthandelskampagne

WEED-News zur 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancún

Inhalt:

  1. "WTO kills Farmers"
  2. Koreanischer Bauer ersticht sich am Rande des Bauernmarschs gegen die WTO. Bericht von Pia Eberhardt
  3. "WTO undemocratic!”
  4. NGO-Aktivisten stoeren die Eroeffnungszeremonie. Bericht von Christina Deckwirth
  5. Einblicke in die offizielle Welt:
  6. zwischen Wissen und Unwissen, Demokratie und Demokratiedefiziten. Bericht von Nicola Sekler

1) "WTO kills Farmers"

Koreanischer Bauer ersticht sich am Rande des Bauernmarschs gegen die WTO

von Pia Eberhardt.

Für den Auftakt der WTO Ministerkonferenz hatte die Kleinbauernorganisation Via Campesina einen Marsch auf das Konferenzzentrum auf der abgeriegelten Halbinsel angekündigt, um dort ihre Forderungen an die WTO Mitglieder zu richten. Pünktlich um 11 Uhr startete dann auch ein Tross von schätzungsweise 10.000 Demonstranten auf Umwegen durch die Innenstadt von Cancún in Richtung Hotelzone. Der Zug umfasste neben zahlreichen Kleinbauernorganisationen aus Mexiko auch einen großen Block koreanischer und japanischer Bauerngewerkschaftler sowie zahlreiche Studenten.

So eindeutig wie die auf Transparente gepinselte Forderung der Demonstranten, dass sich die WTO ganz aus der Landwirtschaft zurückziehen solle, war auch die Botschaft der Polizei und Sicherheitskräfte: exakt auf Kilometer 0 der Hotelzone, also gute 10 Kilometer vom Konferenzzentrum entfernt, wurden die Demonstranten durch erste Barrikaden und dahinterstehende Polizeireihen daran gehindert, ihren Marsch fortzusetzen. Die vorderen Reihen machten sich jedoch sofort daran, die Barrikaden niederzureißen. Die Polizei reagierte zuerst mit wenigen Tränengasschüssen, als jedoch Teile der Absperrungen tatsächlich geöffnet waren, rückte sie unter Einsatz von Schlagstöcken vor. Dabei gab es einzelne Platzwunden, nach Angaben der Medical Teams vor Ort hielt sich die Zahl der Verletzten jedoch in Grenzen.

Ein tragisches Ereignis überschattete jedoch die Demonstration: ein koreanischer Aktivist, der angeblich während der Demonstration ein Schild mit der Aufschrift "WTO kills Farmers" trug, hat sich direkt vor den Barrikaden das Leben genommen. Derzeit gibt es widersprüchliche Angaben darüber, inwieweit der 56 jährige Kyeong Hai Lee, der sich schon an Hungerstreiks vor dem WTO Hauptsitz in Genf beteiligt hat, andere AktivistInnen und Organisationen über sein Vorhaben informiert hatte. Koreanische NGOs haben inzwischen ein Statement veröffentlicht, in dem sie das Handeln von Herrn Lee als Ausdruck des Protests gegen die fatalen Auswirkungen der WTO Abkommen auf Bauern weltweit bewerten. In jedem Fall zeigen der Verlauf der Demonstration und der Tod des koreanischen Aktivisten, dass die WTO mitnichten ihre Legitimationskrise nach außen überwunden hat und dass ihre Kritiker weiter versuchen werden, ihrer Kritik an der Organisation Ausdruck zu verleihen. Auch wenn die WTO weiterhin versuchen wird, sich dieser Kritik auf entlegenen Tagungsorten hinter Barrikaden zu entziehen.

2) Rebellion der Orangenen: "WTO undemocratic!"

NGO-Vertreter stoeren die Eroeffnungszeremonie der WTO-Ministerkonferenz

von Christina Deckwirth.

Auf der Eroeffnungsveranstaltung verliessen etwa 40 NGO-VertreterInnen vom internationalen Netzwerk "Our World is not for Sale" mit den Rufen "Schande" den Raum. Sie hielten Schilder mit den Aufschriften wie "WTO undemocratic", "WTO obsolete" und "WTO antidevelopment" und hatten ihre Muender mit einem Band zugeklebt.

Die Aktion war ein grosser Erfolg. Die Unruhe in der feierlichen Eroeffungszeremonie sorgte fuer Aufmerksamkeit und grosses Medieninteresse. Doch der Handlungsspielraum von NGOs ist sehr eingeschraenkt, denn kritische NGOs sind in Cancun nicht erwuenscht.

NGO-Vertreter wie z.B. das Team von WEED tragen in Cancun ein orangenes Band um den Hals. Damit sind sie gut zu identifizieren und koennen nicht mit den offiziellen "blauen” Delegierten verwechselt werden. Erwuenscht sind die NGOs nicht, und dennoch geniessen die "Orangenen” einige "Privilegien". Nachdem bereits die Huerden ueberwunden waren, ein teures Visum fuer die Akkreditierung in Cancun zu beantragen, in enormen Sicherheitskontrollen gefilzt zu werden und eine gesonderte Anstecker fuer die Eroeffnungsveranstaltung im NGO-Zentrum abzuholen, gab es heute fuer die Eroeffnungsveranstaltung Zugang ins Innerste des "Convention Centre”. Im Convention Centre in Cancun werden in den naechsten vier Tagen die Verhandlungen ueber die Zukunft des Welthandels gefuehrt.

Die Eroeffnungsveranstaltung der 5. Ministerkonferenz waere sehr unspektulaer verlaufen. Der mexikanische Praesident Vicente Fox und der WTO-Generaldirektor Supachai Panitchpakdi uebertrafen sich in Freihandels-Rhetorik und in schoenen Worten ueber die Doha-"Entwicklungsrunde". Doch eine kleine Aktion vom internationalen NGO-Netzwerk OWINFS (Our World is not for Sale) brachte etwas Stoerung in die vermeintliche Einigkeit. Kurz nachdem Supachai mit seiner Rede begonnen hatte, erhoben sich etwa 40 NGO-VertreterInnen, darunter auch Walden Bello (Focus on the Global South), Maude Barlow (Council of Canadians) und Lori Wallach (Public Citizen, zahlreiche deutsche Aktivisten von ihren Plaetzen und hielten zunaechst im stillen Protest ihre Aussagen ueber den Koepfen: "WTO: undemokratisch, anti-Entwicklung, obsolet!" Der Protest wandelte sich bald in laute Rufe: "Schande" wurde auf Englisch und Spanisch lautstark in den Veranstaltungssaal geschrieen. Der Protestzug bewegte sich langsam aus dem Gebaeude, nachdem sich die Security aufgestellte hatte. Neben vieler pikierter Blicke der Delegierten, stuerzte sich vor allem die Presse auf die Aktion, um Bilder zu bekommen und Interviews zu fuehren. Die Aktivisten nutzen diese Gelegenheit, um ihrer Kritik an der WTO Ausdruck zu geben. "Die WTO-Verhandlungsprozesse spiegeln die Machtverteilung in der Welt wider: Undemokratische Entscheidungsprozesse und Machtpolitik werden auch in Cancun die Ergebnisse praegen", sagte Walden Bello auf einer Spontan-Pressekonferenz direkt nach der Aktion.

NGOs in Cancun: begrenzte Moeglichkeiten

Die Aussage "WTO undemocratic" bezieht sich nicht nur auf die ungleichen Einflussmoeglichkeiten von Entwicklungslaendern auf die WTO-Verhandlungen. Auch die Zivilgesellschaft bekommt in Form von NGO-Vertretern nur sehr eingeschraenkten Zugang zum Verhandlungsgeschehen. Die eigentlichen Verhandlungsraeume befinden sich sicher in den oberen Stockwerken des Konferenzzentrums, Zugang fuer NGOs besteht nicht. Ein kurioses Farbspiel verdeutlicht die herrschende Rangordnung in Cancun. Wer ein blaues Band traegt hat Zutritt zum Verhandlungsgeschehen - fast: das blaue Band mit dem gruenen Kaertchen, das die wenigen NGO-Vertretern in den offiziellen Delegationen tragen, erlaubt nur eingeschraenkten Zugang zu den offiziellen Verhandlungen. Begrenzten Zugang gibt es fuer die Presse mit dem gruenen Band. Die NGOs tragen orangene Baender. Nach der Aktion waehrend der Eroeffnungsveranstaltung weist das Sicherheitspersonal im Konferenzzentrum die NGO-Vertreter: "Die mit den orangenen Baender duerfen wir nicht mehr hinein lassen." Immerhin hat ein Vertreter pro akkreditierter Organisation normalerweise Zutritt zum Pressezentrum im Konferenzzentrum. Ansonsten muessen sich die NGOs mit ihren eigenen Veranstaltungen im NGO-Zentrum zufrieden geben, der sich in sicherer Entfernung vom eigentlichen Geschehen befindet.

Begrenzter Einfluss: Informieren und Aktionen

Die Hauptaufgabe der in Cancun vertretenen NGOs ist es, Informationen zu sammeln und weiterzugeben. Viel Spielraum fuer Aktionen gibt es nicht, das Band, das NGO-VertreterInnen Zugang zum Pressezentrum und NGO Centre verschafft und damit zu den aktuellen Informationen verschafft, ist kostbar und kann leicht durch die Hand der Sicherheitskraefte verschwinden. Auch ausserhalb des Geschehens in der abgeriegelten Hotelzone in Cancun sieht die Lage nicht gut aus. Nur wenige tausend Demonstranten konnten sich den Weg nach Cancun leisten. Teure Visa und schlechte Transportbedingungen erschwerten die Mobilisierung nach Cancun, die Hotelzone mit dem Konferenzzentrum ist hermetisch abgeriegelt. Dennoch regt sich viel Protest mit zahlreichen kreativen Aktionen: Nackt-Demonstration am Strand, versuchte Besetzung des Konferenzzentrums, Bauernkarawane, Protest von Aids-Kranken.

Die Einflussmoeglichkeiten der Zivilgesellschaft sind sehr begrenzt. Trotzdem koennen Aktionen wie die Stoerung der Eroeffnungsveranstaltung heute morgen grosse Medienaufmerksamkeit einen reibungslosen Ablauf der WTO-Verhandlungen verhindern. Eine starke Praesenz kritischer Positionen in Cancun und in der Oeffentlichkeit wird auch die Verhandlungspositionen der Schwaecheren staerken. Fuer die NGOs in Cancun sollte deswegen fuer die naechsten Tage gelten: Die Forderung, die WTO grundlegend in Frage zu stellen, muss neben der Verfolgung des Verhandlungsgeschehens in diesen Tagen durch Aktionen im Konferenzzentrum und auf der Strasse in Cancun, aber auch in vielen Staedten in Deutschland und anderen Teilen der Welt in die Oeffentlichkeit getragen werden. Die Bilder der Aktion im Konferenzzentrum sind um die Welt gegangen.

3) Einblicke in die offizielle Welt: zwischen Wissen und Unwissen, Demokratie und Demokratiedefiziten

von Nicola Sekler.

Es ist schon interessant, wie wenig Demokratie in einem scheinbar demokratischen Land tatsächlich herrscht. Ist es nicht merkwürdig, wenn bei einem Treffen von Parlamentariern mit NGOs die Zivilgesellschaft gefragt wird, wie denn die Abstimmung innerhalb der deutschen Delegation funktioniert? Wohlgemerkt wurde diese Frage von einem Mitglied dieser Delegation gestellt! Ist es nicht ebenso seltsam, dass ein Bundestagsbeschluss keine Auswirkungen auf die Position der Bundesregierung in den WTO-Verhandlungen hat?

Für Handelsfragen - also auch für die Verhandlungen in der WTO - eigentlich zuständig ist der europäische Handelsminister Pascal Lamy. Er hat von den EU Mitgliedsstaaten ein Mandat für die laufende Welthandelsrunde erhalten, in dem die groben Positionen festgehalten sind. Abweichungen hiervon müssen mit den Wirtschaftsministern in dem so genannten 133er Ausschuss abgesprochen werden. Dass Meinungsänderungen nur sehr schwer nach oben durchdringen erklären zwei Beispiele:

  • Anlass für Unmut gab bei den Parlamentariern die Ignoranz des Bundestagsbeschlusses vom 4. Juli, der sich in einigen Punkten sehr stark von der deutschen/europäischen Verhandlungsposition unterscheidet und zum Beispiel im Bereich des drohenden Investitionsabkommens aufgrund der sehr unterschiedlichen Positionen eine weitere Diskussion für notwendig hält.
  • Laut dem BMWA wurden die EU-Mitgliedsstaaten ermahnt, ihre Position zu einem Investitionsabkommen innerhalb der WTO beizubehalten. Was, wenn sich die Meinung tatsächlich verändert hat?

Was passiert hinter den Kulissen?

Heute morgen (10.9.03) wurde die fünfte WTO-Ministerkonferenz offiziell eröffnet. Ab dem Nachmittag sollte das Arbeitsprogramm in 5 unterschiedlichen Arbeitsgruppen beginnen: Agrar, Marktzugang für nichtagraische Produkte, Singapur-Themen, Entwicklung und "andere Themen". Da die Ausgangssituation im Agrarbereich so kontrovers ist, beginnen die Verhandlungen erst einen Tag später, zunächst muss man sich einig werden, welcher Text überhaupt als Diskussionsgrundlage dienen kann. Die Arbeitsgruppen werden informell konstituiert, das heisst, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe findet in bilateralen Gesprächen Interessenten an dem Thema und dominante Interessen heraus. Erst anschliessend beginnen die formalen Verhandlungen. Ein boeses Omen, wenn der Verhandlungsprozess schon unter solch intransparenten und informellen Bedingungen beginnt.


Weed-News ist der Email-Newsletter von WEED. Während der 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancún/Mexiko berichten wir ausnahmsweise einmal täglich von ‚vor Ort’ mit einer kleinen Zusammenstellung von Informationen, Analysen und Erfahrungsberichten.

Redaktion: Peter Fuchs, Nicola Sekler, Pia Eberhardt & Christina Deckwirth

Lob, Kritik und Reaktionen fuer diese Ausgabe senden Sie bitte an Christina.Deckwirth@weed-online.org


Weitere Bilder

     
 

NGO-Protest bei der Cancun-Eroeffnung