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Regionalisierung unter neoliberalem Vorzeichen? Die polit-ökonomische Geographie der EU-Handelspolitik

10.06.2003: Fortsetzung...

Die Rolle Europas ist in der globalisierungskritischen Debatte umstritten. Die einen erkennen in der Europäischen Union einen möglichen Motor zur Re- Regulierung regionaler Handelspolitik und damit ein Gegengewicht zum US-amerikanischen Empire. Die anderen setzen aufgrund ihrer real existierenden neoliberalen Vorreiterrolle keine Hoffnungen auf eine Reform der europäischen Institutionen. Die EU ist, zumindest in ihrer Handelspolitik, ein Global Player, der weltweit auf gleicher Augenhöhe mit den USA um Zugang zu den Märkten des Südens konkurriert. Daß die EU trotzdem als mögliches Handlungsfeld für anti-neoliberale und emanzipatorische Handlungsansätze gesehen wird, ist im Widerspruch zwischen der globalisierten Ökonomie und der nach wie vor primär nationalstaatlich organisierten europäischen Politik begründet. In ihrer Handelspolitik verfolgt die Europäische Kommission, die machtpolitische Zentrale der europäischen Wirtschaftspolitik, das Liberalisierungs- und Deregulierungsprojekt auf unterschiedlichen Ebenen: multilateral in der WTO, regional mit Entwicklungsländergruppen und bilateral mit Einzelstaaten. Dabei versucht die EU, Verhandlungspartner durch Fortschritte und Zugeständnisse auf unterschiedlichen Ebenen unter Druck zu setzen, ohne ihre übergeordneten Sachziele aus den Augen zu verlieren. Besonders regionale Verhandlungsprozesse können weitreichende Konsequenzen für Entwicklungsländer in Bereichen bedeuten, in denen Entscheidungen auf WTO-Ebene noch nicht gefallen sind. Zudem können diese Abkommen Fakten schaffen, bevor die Verhandlungen in der neue WTO-Runde abgeschlossen und implementiert sind.

Die bisherigen regionalen Handelsabkommen

Da die meisten Freihandelsabkommen der EU erst wenige Jahre in Kraft sind, sind die Erfahrungen, ob regionale Handelsliberalisierung zur Setzung positiver Entwicklungsimpulse beitragen kann, begrenzt. Es gibt bislang jedoch kaum Daten, die darauf hindeuten, daß regionale Abkommen langfristig zur Bekämpfung der Armut und zur Umsetzung der internationalen Entwicklungsziele beitragen können, während die Anpassungskosten der wirtschaftlichen Liberalisierung im Rahmen makroökonomischer Strukturanpassungsprogramme bereits für viele Menschen zur täglichen Realität geworden sind. Regionale Handelsabkommen sind trotzdem "in" - in Europa und weltweit. Von den mehr als 110 im Rahmen des GATT notifizierten Verträgen wurde ein Drittel in den 1990er Jahren abgeschlossen. Die EU sitzt dabei wie die Spinne im Netz der sie umgebenden Abkommen: Derzeit hat sie 11 regionale Handelsverträge unter GATT Artikel XXIV mit Ländern des Südens in Genf angemeldet. Hinzu kommen das Assoziierungsabkommen mit Jordanien, ein präferentielles Abkommenüber den Handel mit Dienstleistungen mit Mexiko, drei ältere Assoziierungsabkommen mit Mittelmeeranrainern, das Cotonou- Abkommen mit den 77 AKP-Staaten, für das die WTO Ende 2001 eine Ausnahmegenehmigung erteilte, sowie als jüngstes ‚Familienmitglied‘ das Freihandelsabkommen mit Chile.

 Zur ersten Kategorie der klassischen Assoziierungsabkommen zählen rein handelsorientierte Verträge mit Malta, der Türkei und Zypern, die in die 60er und 70er Jahre zurück reichen. Sie sahen im allgemeinen die Einführung einer Zollunion als Vorbereitung auf eine spätere Vollmitgliedschaft in der EU vor. Malta und Zypern werden zum 1. Mai 2004 in die Europäische Union aufgenommen. Mit der Türkei wurde die Zollunion 1996 nach jahrelangen Verhandlungen abgeschlossen, der 1994 beantragte EU-Beitritt verschiebt sich jedoch auf unbestimmte Zeit.

 Die zweite Gruppe bilden Kooperationsabkommen, die Mitte der 70er Jahre verhandelt wurden. Diese Abkommen, alle mit Mittelmeeranrainern, zielten hauptsächlich auf die Förderung des gegenseitigen Handels durch den Abbau von Importzöllen auf Industriegüter und die schrittweise Zollreduktion im Agrarbereich. Im Interesse ihrer im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik hoch geschützten Agrarmärkte hielt die EU jedoch Zollschranken für "besonders sensible" Agrarprodukte aufrecht, konnte aber zugleich neue Absatzmärkte für diese Produkte im Süden schaffen. Dies spiegelt sich in einem z.T. starken Handelsbilanzdefizit der Mittelmeeranrainer gegenüber der EU zwischen 1981 und 1998 wider. Die wichtigsten Handelspartner in der Region sind die Türkei und Israel; Importe aus dem Libanon, Jordanien und Syrien sind vergleichsweise gering. Nur Algerien und Syrien verzeichnen eine positive Handelsbilanz gegenüber der EU.

 Handels- und Assoziierungsabkommen der 2. Generation bilden die dritte Gruppe. Sie wurden zwischen 1995 und 2002 mit acht Mittelmeeranrainern (die sog. Euromed- Abkommen im Rahmen der Euro-Mediterranen Partnerschaft; s. W&E SD 2/1995) geschlossen, müssen aber z.T. noch unterzeichnet oder ratifiziert werden. Rechtsgrundlage seit Februar 2003 ist Art. 310 des EGVertrages von Nizza über Assoziierungsabkommen. Zu diesen Abkommen zählen aber auch die jüngsten Freihandelsabkommen mit Mexiko und Südafrika, die beide im Sommer 2000 in Kraft traten, das Assoziierungsabkommen mit Chile, das im November 2002 unterzeichnet wurde, sowie regionale Handelsabkommen, die derzeit mit den AKP-Staaten sowie dem Mercosur verhandelt werden. Ähnlich den bilateralen Investitionsschutzabkommen der EU liegt den bilateralen Handels- und Assoziierungsabkommen der 2. Generation eine gemeinsame Außenhandelsstrategie der EU zugrunde, die über bisherige Kooperations- und Assoziierungsabkommen hinausgeht und die bilaterale und regionale Handelspolitik der EU neu definiert und entscheidend erweitert. Dies ist ein gewichtiger politischer Grund für ihre derzeitige Attraktivität in Europa: Gehen die Verhandlungen über die mulitlaterale Agenda hinaus, können sie mit der begrenzten Anzahl der beteiligten Verhandlungsparteien, die im Falle der Entwicklungsländer zudem über ein viel geringeres Verhandlungsgewicht verfügen, schneller im europäischen Interesse abgeschlossen werden.

Die neuen Handelsabkommen

Das Kennzeichen der meisten neuen Handelsabkommen der EU mit dem Süden ist die Verbindung der "klassischen" Programmatik der Wirtschaftsförderung mit politischen Inhalten (Demokratisierung, Menschenrechte und ‚good governance‘) und entwicklungspolitischen Zielsetzungen (Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung). Im April 1997 hat der Europäische Rat Richtlinien für die Aushandlung von regionalen Handelsabkommen angenommen, die die grundlegende Architektur der von der EU betriebenen regionalen Außenhandelspolitik umreißen. Im Mittelpunkt des europäischen Interesses stehen demnach die Kompatibilität mit dem multilateralen Regelwerk, die Auswirkungen auf gemeinschaftliche Politikfelder, wie z.B. die Gemeinsame Agrarpolitik, und der zu erwartende wirtschaftliche Vorteil für die Union. Der "Idealtypus" dieser Abkommen umfaßt im Kern eine weitgehende Institutionalisierung des politischen Dialogs über die Wahrung der Menschenrechte und demokratischer Prinzipien, die Einrichtung einer WTOkompatiblen Freihandelszone innerhalb einer 12-jährigen Übergangszeit, einschließlich einer graduellen Liberalisierung im Agrarund Dienstleistungssektor, die Liberalisierung der geistigen Eigentumsrechte, der Finanzkapitalbewegungen und des öffentlichen Beschaffungswesens, Kooperation in Umweltfragen sowie Bestimmungen zu Fragen von Konkurrenz und staatlicher Hilfen. Zusätzlich enthalten die meisten der Abkommen finanzielle Hilfen für die Partnerländer, Regeln zur Zusammenarbeit im sozialen und kulturellen Bereich sowie Bestimmungen zur Rückführung illegaler Einwanderer. Ihre Laufzeit ist i.d.R. unbegrenzt. Derzeit steht die EU mit fünf Ländern bzw. Ländergruppen in Verhandlungen über bilaterale Handels- und Assoziierungsabkommen. Diese Verhandlungen umfassen Chile, den Golfrat (Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die Vereinigte Arabische Emirate), den Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) und Syrien. Mit den Regionen der AKP-Staaten laufen seit Ende 2002 Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA). Im April 2003 hat die Europäische Kommission zudem eine Initiative zur Stärkung der Handels- und Investitionsbeziehungen mit den Ländern der Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN: Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam), die "Trans-Regional EU-ASEAN Trade Initiative" (TREATI), ins Lebens gerufen. TREATI umfaßt neben den Themen Handel auch die Bereiche Investitionen und Dienstleistungen, Fragen der Handelserleichterung, der Kooperation in Zollfragen, technische Handelshemmnisse einschließlich gesundheitlicher Standards und wird als Vorstufe für den Abschluß präferentieller Handelsabkommen mit der Region gesehen. Die EU, mit einem Volumen von 85,83 Mio. € im Jahr 2001 nach den USA und Japan derzeit der drittwichtigste Handelspartner der Region, möchte ihren wirtschaftlichen Einfluß in der Region noch ausbauen. Im Herbst diesen Jahres soll ein gemeinsamer Aktionsplan erste konkrete Liberalisierungsmaßnahmen im Rahmen von TREATI vorstellen.

1. Politischer Dialog, Menschenrechte und Demokratie

Die meisten der bereits verabschiedeten Abkommen enthalten in den ersten Artikeln das Bekenntnis zum politischen Dialog, zur Demokratie und zur Achtung der Menschenrechte. (Nur im Falle der Palästinensischen Autonomiebehörde handelt sich aufgrund des besonderen politischen Status um ein Interim-Assoziierungsabkommen, in dem keine Bestimmungen zum politischen Dialog verankert sind.) Dennoch bleibt die konkrete Ausgestaltung dieser prinzipiellen Bekenntnisse unklar, und auf die Formulierung wirksamer Kontroll- und Monitoring-Mechanismen, die z.B. die Einhaltung der Menschenrechte und demokratische Entscheidungsprozesse sicherstellen würden, wird verzichtet. Sowohl in den lateinamerikanischen Ländern Chile, Mexiko und Brasilien als auch in den meisten nordafrikanischen Mittelmeeranrainerländern gibt es laut Amnesty International auch heute noch schwerwiegende Verstöße gegen die Menschenrechte. So ist zu befürchten, daß die EU Menschenrechts- und Demokratiefragen nicht zum zentralen Anliegen der Abkommen macht, sondern vielmehr ihren wirtschaftlichen Freihandelsinteressen unterordnet. Praktisch nicht vorhanden sind in fast allen EU-Abkommen Hinweise auf die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen in einen strukturierten und umfassenden Dialogprozeß. Entgegen vollmundiger Ankündigungen und den Aussagen dialogorientierter Grundsatzpapiere der Kommission spiegelt sich hier die drastisch sinkende reale Wertschätzung der Brüsseler Entwicklungsbürokratie für zivilgesellschaftliche Gruppierungen im Rahmen einer gerechten und nachhaltigen Entwicklung im Süden wider. So fehlt jeder Hinweis auf die Rolle der Zivilgesellschaft in den Mittelmeer-Assoziierungsabkommen, im Mexiko-Abkommen sowie im Verhandlungsmandat für die Mercosur-Gespräche. Nur mit Chile wurde die Einrichtung eines gemeinsamen Konsultationskomitees vereinbart. Das Freihandelsabkommen mit Südafrika sieht die "Stärkung und Einbeziehung" der Zivilgesellschaft in den politischen Prozeß vor und bleibt auch hier vage. Einzig im Cotonou-Abkommen finden sich zahlreiche Verweise auf die verstärkte Information, Konsultation und Partizipation von Zivilgesellschaft als einem nicht-staatlichen Akteur bei der Implementierung des Kooperationsabkommens. Auch hier bleibt aber die Bereitschaft zur Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Gruppen politisch unscharf, und es fehlen verbindliche institutionelle Strukturen, die die Zusammenarbeit definieren und mit den nötigen finanziellen Ressourcen ausstatten würden. Erste Erfahrungen bei der Formulierung der sog. Länderstrategiepapiere (CSS) im Rahmen des Cotonou- Folgeprozesses offenbaren die vielfach mangelhafte und selektive Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure in den AKPStaaten. Und auch der seit September 2002 laufende Verhandlungsprozeß über neue Wirtschaftsabkommen mit den AKPStaaten findet hinter den verschlossenen Türen der Brüsseler Unterhändler statt.

2. Freihandel

Kernstück der bilateralen Abkommen ist die Liberalisierung des Handels mit Gütern, Agrarerzeugnissen und Dienstleistungen. Obwohl die Bestimmungen von Fall zu Fall variieren, enthalten alle Abkommen doch grundlegende gemeinsame Elemente: So sehen die Euro-Mediterranen Assoziierungsabkommen (EMAAs) sowie das Cotonou- Abkommen die Einführung einer Freihandelszone in Übereinstimmung mit Art. XXIV des GATT-Vertrages innerhalb von längstens 12 Jahren nach Inkrafttreten der Abkommens vor, im Falle von Mexiko und Südafrika schon innerhalb von 10 Jahren. Liberalisierungsschritte im Agrarbereich erfolgen nur schrittweise und werden in den meisten Fällen sogar von weiteren Verhandlungen abhängig gemacht. (Einzig der Vertragstext des EU-Freihandelsabkommens mit Mexiko sieht eine volle Liberalisierung - mehr als 96% der Tariflinien - für landwirtschaftliche Produkte bis 2010 vor.) Während die Abkommen die Entwicklungsländer zwingen, ihre Märkte weitgehend für EU-Produkte zu öffnen, bestehen gerade für viele der in der EU produzierten landwirtschaftlichen Erzeugnisse weiterhin hohe Zollschranken für Einfuhren aus dem Süden. Die Freihandelsabkommen mit Südafrika, Mexiko und Chile sehen darüber hinaus eine Sicherheitsklausel für den Fall vor, daß ein sprunghaftes Ansteigen der Handelsflüsse einen Sektor oder die gesamtökonomische Situation eines Partners bedroht - de facto eine Hintertür der EU, um ihre Märkte für den Fall einer erfolgreichen Exportsteigerung eines südlichen Partners vorübergehend zu schließen. Eine asymmetrische Senkung der Zölle, wie sie im Falle Südafrikas vorgesehen ist, soll zwar Unterschiede im wirtschaftlichen Entwicklungsstand ungleicher Partner abfangen helfen, wird aber möglicherweise durch höhere zu erwartende Anpassungskosten auf Seiten der Entwicklungsländer mehr als aufgehoben. Aus Sicht der Entwicklungsländer ist der von der EU vorgegebene Liberalisierungsfahrplan zu schnell, um einer entwicklungsverträglichen Umgestaltung der einheimischen Produktion genügend Raum zu bieten. Vor allem kleinere und mittlere Betriebe werden durch den massiven Konkurrenzdruck europäischer Produzenten vom Markt verdrängt. Eine Schutzklausel für sich im Aufbau befindliche Industrien oder besonders sensible Sektoren in den Ländern des Südens dagegen findet sich nur im Freihandelsabkommen mit Südafrika.

3. Investitionen

Hinsichtlich der Formulierung der Bestimmungen zur Liberalisierung des Kapitaltransfers herrschen große Unterschiede zwischen den einzelnen Abkommen. Während i.d.R. in allen Abkommen der vollständig freie Kapitalverkehr verwirklicht werden soll, gehen einige der Verträge beim Schutz ausländischer Investitionen wesentlich weiter. So wurden in einigen Fällen Investitionsgarantieklauseln verankert. Diese reichen von nicht näher ausgeführten Investitionsschutz-Initiativen (Mexiko-Abkommen) bis hin zu Bestimmungen zum Abschluß von bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) im Falle von Chile und Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung (DTAs - z.B. im Fall der meisten Assoziierungs-Abkommen mit den Mittelmeeranrainern), die die Grundlage für ein mögliches Investitionsgarantiesystem legen könnten. Auch im Cotonou-Rahmenabkommen mit den AKP-Staaten sind bilaterale Investitionsschutzabkommen angestrebt, deren Grundsätze in die Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen aufgenommen werden sollen. Die EU ist bestrebt, darin umfangreiche Zugeständnisse an internationale Investoren zu verankern (z.B. Rechtsgarantien zum Schutz ausländischer Investoren, eine Meistbegünstigungsklausel, Schutz vor Enteignung und Verstaatlichung, freier Gewinntransfer sowie ein internationaler Streitschlichtungsmechanismus). Das Europäische Parlament hat sich bereits 1999 dafür eingesetzt, daß ein rechtlich verbindlicher Verhaltenskodex für ausländische Investoren in Entwicklungsländern in den Anhang zukünftiger Abkommen aufgenommen wird, der die Investoren zur Einhaltung sozialer, menschenrechtlicher und ökologischer Mindeststandards verpflichtet. Einige der neuen EU-Handelsabkommen räumen internationalen Investoren tendenziell einen weitreichenderen Investitionsschutz ein, als in anderen multilateralen Initiativen bislang beschlossen. Insgesamt ist daher zu befürchten, dass über den WTO-Rahmen hinaus das bereits tot gesagte Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) quasi durch die Hintertür auch in bilateralen und regionalen Verträgen wiederaufleben könnte.

4. Dienstleistungen

Die Mehrheit der Abkommen sieht eine graduelle Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen gemäß den Bestimmungen des WTO-Dienstleistungsabkommens (GATS) vor. So sind entsprechende Bestimmungen zur Einführung des Meistbegünstigungsprinzips im Dienstleistungssektor in den Mittelmeer-Abkommen mit Algerien, Israel, Marokko und Tunesien wie auch im Freihandelsabkommen mit Südafrika enthalten. Das EU-Chile-Abkommen enthält im umfangreichen Dienstleistungsabschnitt eine analoge Formulierung. Auch das Mexiko- Abkommen enthält die Verpflichtung zur vollständigen Liberalisierung innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren, das Cotonou- Abkommen sieht die Integration des Handels mit Dienstleistungen in die laufenden Verhandlungen über WPAs vor. Im Fall von Chile umfaßt ein europäisches Assoziierungsabkommen erstmals auch ein vollwertiges, 22 Artikel umfassendes Abkommen über den freien Dienstleistungsverkehr. Es erstreckt sich u.a. auf das öffentliche Beschaffungswesen und die Liberalisierung von Investitionen, scheint aber nach erster Analyse nicht über die Bestimmungen des GATSAbkommens hinaus zu reichen. Das Abkommen kommentierte Pascal Lamy denn auch mit den Worten: "Der handelspolitische Teil dieses Abkommens ist das innovativste und ehrgeizigste Ergebnis, das wir in der EU jemals ausgehandelt haben." Brisant ist zudem, daß Chile im März 2003 mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) ebenfalls ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, das neben dem Handel mit Waren weitere Handelsbereiche, einschließlich Dienstleistungen und Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen, Wettbewerbsrecht, geistiges Eigentum und Streitschlichtungsbestimmungen enthält. Ob das bislang unveröffentlichte Dokument im Dienstleistungskapitel über GATS angehinausreicht, ist unbekannt. Da die EU mit der EFTA durch eine Freihandelszone verbunden sind, könnten sich dort verankerten, weiterreichenden Liberalisierungsverpflichtungen aber auch auf die EU auswirken.

5. Öffentliches Beschaffungswesen

Auch in Bezug auf die Liberalisierung im öffentlichen Beschaffungswesen folgt die EU den wirtschaftlichen Interessen der einheimischen Industrie. Alle Abkommen enthalten entsprechende Abschnitte, die die Partnerländer zur Öffnung ihres öffentlichen Beschaffungswesens anhalten. Während die Mittelmeerabkommen i.d.R. nur allgemein auf eine allmähliche Öffnung ohne konkreten Zeitplan abzielen, enthalten besonders die Freihandelsabkommen mit Mexiko und Chile umfangreichere Verregelungen. So verpflichten sich beide Vertragsparteien, Änderungen in den entsprechenden Bestimmungen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA und des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) in das bilaterale Abkommen zu übernehmen. Ausnahmen gelten u.a. für die Regelung von Konflikten über geistige Eigentumsrechte, die einem eigenen Konsultationsverfahren unterliegen.

6. Umwelt

In wirtschaftlich und kulturell so heterogen Integrationsräumen kann zwischen den vertraglich festgelegten Umweltschutzbestimmunen und ihrer tatsächlichen Implementierung und Überprüfung eine weite Lücke klaffen. Die EU weist in diesem Zusammenhang zwar gerne auf ihre weltweite Vorreiterrolle im Bezug auf die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie für zukünftige multilaterale Handelsrunden hin, in bilaterale und regionale Abkommen haben diese Bestrebungen aber bislang kaum Eingang gefunden. Dies gilt laut einer bislang unveröffentlichten Regionalstudie des Bundesumweltministeriums für die geplante Mittelmeer-Freihandelszone, und in noch stärkerem Maße für den schwachen umweltpolitischen Status des Mercosur. Zusätzlich zur Verankerung der Umweltpolitik mit hoher und sektorübergreifender Priorität ist eine regionale Perspektive allerdings eine Vorbedingung für ökologisch nachhaltige Entwicklung. Schon seit langem fordern Umweltschutzverbände gemeinsam mit entwicklungspolitischen Organisationen daher die Integration von Sozial- und Umweltverträglichkeitsanalysen auch in die Verhandlungen über bilaterale und regionale Wirtschaftsabkommen. Zu begrüßen ist daher die Vorgabe der EU, für alle wichtigen politischen Entscheidungsfelder solche Nachhaltigkeitsanalysen durchzuführen. Sollen diese wirklich zur umweltpolitischen Kohärenz von Handelsabkommen beitragen, so müßten sie partizipativ sein, d.h. alle betroffenen Bevölkerungsgruppen einschließen, und ihre Ergebnisse müßten in den weiteren politischen Prozeß Eingang finden. Bei den bisher abgeschlossenen Euro- Mediterranen Assoziierungsabkommen (EMAA) ist jedoch auffällig, daß in den für die Umwelt bestimmten Budgetlinien der EU Finanzierungsmöglichkeiten für die Untersuchung der Umweltfolgen der Liberalisierungspolitik fehlen. Auch ist die Durchführung von Umweltverträglichkeitsstudien vor Abschluß der Verträge ist in den bestehenden Mittelmeer-Abkommen nicht vorgesehen. Lediglich die Abkommen mit Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde erwähnen diese neben dem kontinuierlichen Monitoring als mögliche Instrumente im gemeinsamen Umweltschutz. Ein umfassendes Bekenntnis zu ökologischer Nachhaltigkeit als einem grundlegenden Element der wirtschaftliche Zusammenarbeit fehlt jedoch in allen Abkommen.

7. Streitschlichtungsverfahren

Allen Abkommen gemeinsam sind allgemeine Bestimmungen zur Regulierung von Konflikten bei der Implementierung der Verträge. Diese Durchsetzungsinstrumente offenbaren eine weitere neue Qualität der Abkommen, die weit über den Handelsbereich hinaus reicht, erstrecken sie sich doch auf fast alle Bereiche der Abkommen. Die Streitschlichtung im Rahmen der neuen Mittelmeer- Assoziierungsabkommen obliegt i.d.R. dem gemeinsamen Ministerrat, unterstützt durch ein Verwaltungskomitee. Auch das Freihandelsabkommen mit Mexiko enthält eine umfassende bilaterale Streitschlichtungsklausel. Von dieser ausgenommen sind nur solche Fälle, die unter die im Rahmen der WTO geschlossenen Verpflichtungen fallen. Für den Fall, daß im Streitfall keine Einigung erzielt werden kann, ist die Aussetzung der Vereinbarungen im Rahmen sog. Suspendierungsklauseln allerdings bislang nur in den Abkommen mit Südafrika und im Cotonou- Abkommen vorgesehen. Streit zwischen den Vertragsparteien kann es in Zukunft z.B. um Fragen des Demokratieverständnisses oder um allgemeine Rücknahmeklauseln für Flüchtlinge, illegale Einwanderer und abgelehnte Asylbewerber geben. Im Assoziierungsabkommen mit Israel sind aufgrund des starken Drucks der EU bereits Maßnahmen zur Verhinderung illegaler Einwanderung verankert worden. Und kurz vor Abschluß der Verhandlungen im Frühjahr 2000 übte die EU Druck auf die AKP-Staaten aus, eine Rücknahmeklausel auch in das neue Cotonou-Abkommen aufzunehmen. Der Vorstoß scheiterte, und eine Kompromißformulierung sieht nun vor, in bilateralen Gesprächen individuelle Rücknahmevereinbarungen zu finden. "Wir nehmen Eure Produkte, solange wir Eure Leute zurückschicken können", faßte Naomi Klein im Januar 2003 im Guardian diese Konditionierungspraxis zusammen - ingesamt ein bitterer Vorgeschmack darauf, was die EU unter dem von ihr propagierten "offenen und partizipativen" politischen Dialog mit den Süd-Partnern versteht.

Fazit: Mehrebenenpolitik à la carte

In der handelspolitischen Praxis vertraut die EU unverändert auf die Wirksamkeit ihrer neoliberalen Freihandelsdoktrin "Handelsliberalisierung = Wirtschaftswachstum = Verringerung der Armut". Sie setzt dabei verstärkt auf eine breite politische "Speisekarte", die weit über den Inhalt klassischer Handelsabkommen hinaus reicht. Unter der Maxime der "schrittweisen Integration in die Weltwirtschaft" drängt die Gemeinschaft die Entwicklungsländer bilateral zu Zugeständnissen in der Handels- und Investitionspolitik, die auf multilateraler Ebene bislang am Widerstand der Entwicklungsländer scheitern. Die OECD kommt in einer Ende letzten Jahres erschienenen Studie über das Verhältnis von regionalen Handelsverträgen und dem multilateralen WTO-Regelwerk zu dem Schluß, daß Synergien für OECD-Mitgliedsstaaten besonders dort entstehen können, wo, wie im Falle von Investitionsregeln, Handelserleichterung, der Harmonisierung von Standards oder Implementierungsflexibilität, Regionalabkommen sich einerseits auf die Doha-Erklärung berufen, andererseits aber weit über die WTO hinausgehen (s. Hinweis). Am Beispiel der derzeitig laufenden Verhandlungen über WPAs mit den AKP-Staaten wird zudem deutlich, daß die EU mit ihrer Initiative zur Unterstützung regionaler Integrationsprozesse im Süden faktisch nur auf die Schaffung von "Freihandelsregionen" abzielt. Politisch und wirtschaftlich autonome Integrationsbestrebungen, die zwar die regionale Zusammenarbeit im Süden stärker wollen, aber in ihrem Kern nicht die baldige Etablierung einer Freihandelszone vorsehen, erscheinen der Kommission dagegen ungeeignet für die Aufnahme erfolgreicher Verhandlungen. In ihren "Leitlinien für die Qualifizierung von AKP-Regionen für die Verhandlungen über WPAs" vom Juli 2001 erwägt die Kommission Verhandlungen nur, wenn regionale Fahrpläne für die Schaffung einer Freihandelszone innerhalb des für die Implementierung der WPAs vorgesehen Zeitraumes liegen. Die EU widerspricht hier in eklatanter Weise ihrer selbst gesteckten politischen Zielvorgabe, regionale Integrationsbestrebungen innerhalb der AKP-Staaten zu unterstützen. Vor allem aus der afrikanischen Zivilgesellschaft mehren sich daher die Stimmen, die aufgrund der neokolonialen Ausrichtung der beabsichtigten Freihandelsabkommen einen sofortigen Stopp der Verhandlungen fordern. Da die meisten Regionalabkommen erst wenige Jahre in Kraft sind oder derzeit noch verhandelt werden, gibt es bislang kaum Lehren über deren Auswirkungen auf die Länder des Südens. Doch Untersuchungen über die Auswirkungen von Liberalisierungsmaßnahmen im Zuge marktwirtschaftlich orientierter Strukturanpassungsprogramme (SAPs) von IWF und Weltbank sowie Studien über die sozialen und ökologischen Auswirkungen der nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) am mexikanischen Beispiel zeigen deutlich, daß makroökonomische Liberalisierungen in der Mehrzahl der Fälle das soziale Gefälle und die ökonomischen Ungleichheiten verstärkt und so ursächlich zur Verschlechterung der Lebensbedingungen der besonders armen Bevölkerungsteile beigetragen haben. Die EU hat bislang nicht überzeugend demonstrieren können, daß die umfassende Agenda der neuen Generation von Handelsabkommen eine breite sozial gerechte und ökologisch verträgliche Entwicklung im Süden fördert. In der europäischen Handelspolitik macht ein anderer Ton die Musik: Der Gemeinschaft geht es um die Ausweitung ihrer Exporte in die Länder des Südens und der Sicherung neuer Absatzmärkte, besonders im Hinblick auf Hochtechnologien und Dienstleistungen, aber auch um die Vergrößerung des Flusses an Direktinvestitionen im verarbeitenden Bereich, für Privatisierungsprogramme und für Investitionen in extraktive Industrien. Strategisch ist die EU darauf aus, durch rasche Fortführung der Verhandlungen mit dem Mercosur und mit den afrikanischen AKPStaaten, der Handelsmacht USA, die mit neuen Pan-Amerikanischen Freihandelszone (FTAA) und dem "African Growth and Opportunity Act" (vgl. W&E 1/2003) auf die gleichen Märkte schielt, ein handelspolitisches Gegengewicht entgegenzusetzen. Eine entwicklungsförderliche und differenzierte Behandlung der schwächeren Wirtschaftspartner im Süden erscheint da von zweitrangiger Bedeutung. Zwar lassen einige der neuen Abkommen sowohl im Hinblick auf den Liberalisierungszeitplan als auch auf deren Umfang Elemente einer Asymmetrie während der Übergangsphase erkennen, doch wird letztendlich der wirtschaftlich stärkere Verhandlungsblock den größten wirtschaftlichen Nutzen ziehen.

Hinweise:
OECD, Regional Trading Agreements and the Multilateral Trading System, Paris, November 2002.
Klaus Schilder, Lessons Learned? The Impact of Trade Liberalisation Policies on Countries and Regions in the South - A Collection of Evidence, WEED: Berlin 2002.
Eine deutsche Kurzfassung ist erschienen als: Aus Erfahrung klug? Die Auswirkungen von Handelsliberalisierungspolitiken auf Länder und Regionen im Süden - Eine Analyse von Fallstudien, WEED-Arbeitspapier, Berlin, Dezember 2002.

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