Die EZB muss endlich im Kampf gegen den Klimawandel aktiv werden
03.12.2019: Offener Brief an die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde
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Sehr geehrte Christine Lagarde,
als neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank stehen Sie in den kommenden Jahren vor vielen Herausforderungen. Die Wichtigste ist jedoch zu entscheiden, was die EZB unternehmen wird, um den Klimawandel zu bekämpfen und den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu beschleunigen. Während Ihrer Anhörung vor dem Europäischen Parlament haben Sie zu Recht dafür plädiert, dass die EZB den "Umweltschutz in den Mittelpunkt des Verständnisses ihres Auftrags”stellt. Wissenschaftler, Vertreter der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften, Unternehmer und Bürgerinnen und Bürger sind zutiefst besorgt über den Klimawandel. Wir glauben, dass die mächtigste Finanzinstitution in Europa angesichts einer wachsenden Umweltkrise nicht nur passiv bleiben kann.
Der Klimawandel gefährdet nicht nur lebensnotwendige Prozesse, sondern auch die Stabilität der Finanzmärkte, die Wirtschaft und Arbeitsplätze. Nach Schätzungen könnten die physischen Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel ohne Gegenmaßnahmen zu Wertverlusten von bis zu 24 Billionen Dollar bei globalen finanziellen Vermögenswerten führen. [1] Deswegen brauchen wir eine massive Verlagerung der Finanzströme in Richtung einer kohlenstoffarmen und sozial gerechten Transformation. Das ist kaum möglich, ohne dass die Zentralbanken das Finanzsystem aktiv in diese Richtung treiben. Dies wird nicht nur unsere Wirtschaft nachhaltiger machen, sondern auch die Schaffung von Arbeitsplätzen in weniger kohlenstoffintensiven Sektoren erleichtern.
Wir wissen, dass dieses Thema innerhalb all jener Zentralbanken diskutiert wird, die Mitglieder des "Network for Greening the Financial System" sind, einschließlich der EZB. Aber der Fortschritt ist viel zu langsam und wir verlieren Zeit. Wir können nicht jahrelang die langfristigen finanziellen Risiken lediglich abschätzen. Die Zentralbanken müssen alle ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen, um diese Risiken proaktiv zu mindern. In diesem Zusammenhang ist es besonders schockierend, dass die EZB - im Namen der Marktneutralität - weiterhin in großem Umfang Vermögenswerte von Unternehmen mit kohlenstoffintensiven und auf fossilen Brennstoffen beruhenden Aktivitäten erwirbt. Wenn sich die EZB ernsthaft Sorgen um klimabedingte Risiken macht, sollte sie erkennen, dass ihre derzeitige Geldpolitik Teil des Problems ist und einen gefährlichen Status quo verstärkt.
Die EZB sollte sich unverzüglich dazu verpflichten, kohlenstoffintensive Vermögenswerte schrittweise aus ihren Portfolios zu streichen, angefangen mit dem sofortigen Verkauf von Vermögenswerten mit Bezug zu Kohle. Ohne auf die derzeit von der Europäischen Kommission entwickelte "grüne Taxonomie" zu warten, sollten anhand von Kriterien, welche die Auswirkung auf das Klima abschätzen, alle Vermögenswerte überprüft werden, die derzeit für geldpolitische Operationen in Frage kommen.
Wie die Krisenreaktion auf die letzte Finanzkrise gezeigt hat, mangelt es den Zentralbanken nicht an Vorstellungskraft, wenn die Situation dies erfordert. Unter Ihrer Führung könnte die EZB einen ähnlichen Einfallsreichtum bei der Bewältigung der vom Klimawandel ausgehenden Bedrohungen entwickeln; durch Neugestaltung des "Quantitative Easing" oder von Refinanzierungsgeschäften, um sicherzustellen, dass sie Investitionen unterstützen, die zum Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen.
Sie werden unweigerlich auf den ideologischen Widerstand jener stoßen, die der Meinung sind, dass Zentralbanken die Klimapolitik anderen überlassen und "marktneutral" bleiben sollten. Es ist jedoch an der Zeit, dieses Prinzip zu überdenken. Wenn man mit Nicholas Stern übereinstimmt, dass "der Klimawandel eine Folge des größten Marktversagens aller Zeiten ist" , und gleichzeitig davon ausgeht, dass die Geldpolitik lediglich den Markt widerspiegeln sollte, dann führt ein Marktversagen zwangsläufig auch zu einem regulatorischen Versagen.
Andererseits können Sie auch auf starke politische Unterstützung für entschlossenes Handeln bauen. Die Bekämpfung des Klimawandels ist ein wichtiges politisches Ziel der EU und als solches Teil Ihres Mandats im Sinne von Artikel 127 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dies wurde vom Europäischen Parlament mehrfach bestätigt. [2] Darüber hinaus ist die EZB als EU-Institution rechtlich an das Pariser Klimaabkommen gebunden. Und sollte es in Zukunft Zweifel an diesem Punkt geben, können Sie darauf vertrauen, dass das Europäische Parlament - dem die EZB gegenüber rechenschaftspflichtig ist - weitere Klarheit schaffen und Leitlinien für die Rolle vorgeben wird, welche die EZB innerhalb einer umfassenderen EU-Klimastrategie haben sollte.
Wenn Sie es ernst meinen mit Ihrem Versprechen, die EZB an die Spitze des Kampfes gegen den Klimawandel zu setzen, können Sie sich darauf verlassen, dass wir Sie dabei unterstützen und uns konstruktiv und demokratisch in diese Debatte einbringen werden.
Wir wünschen Ihnen viel Glück und Erfolg.
(Unterzeichner siehe Anhang)