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Die neue Außenwirtschaftsstrategie der EU

11.10.2007: Am 4. Oktober 2006 stellte der Europäische Handelskommissar, Peter Mandelson, die offizielle Version des neuen "ambitionierten Aktionsprogramms" der EU vor. Dieses wurde veröffentlicht unter dem Titel "Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer Globalen Welt. Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung" , kurz auch ´Global Europe- Strategie` genannt.

Die darin formulierte interne und externe Agenda soll Europa den Zielen der Lissabon-Strategie - Wachstum und Beschäftigung - näher bringen und es zugleich in die Lage versetzten, seine "Chancen in einer globalisierten Wirtschaft" zu wahren. Den internen und den globalen Herausforderungen soll mit einer schlüssigen Gesamtstrategie begegnet werden. Mit der in dem Papier skizzierten Außenwirtschaftsstrategie wird die ohnehin verstärkte Hinwendung der EU zu einem handelspolitischen Bilateralismus nun auch programmatisch festgeschrieben. Eine neue Generation bilateraler Verträge zwischen der EU und wirtschaftlich wichtigen Schlüsselpartnern soll die externe Wettbewerbsfähigkeit der EU sowie von europäischen transnationalen Unternehmen stärken. Auch wenn sich die Kommission ausdrücklich auch zukünftig der WTO und einem handelspolitischen Multilateralismus verpflichtet erklärt, werden bilaterale Verträge als notwendige Ergänzung zur Sicherung dieser Zielvorgaben proklamiert. Diese Tendenz ist keineswegs neu: faktisch versucht Europa schon seit langem eine ganze Reihe ehrgeiziger "WTO plus Ziele" - Ziele, die "noch nicht reif sind für multilaterale Gespräche" (EU-Kommission 2006, 10) - im Rahmen bilateraler oder regionaler Abkommen im Alleingang voranzutreiben. Auch und gerade mit Blick auf den wirtschaftlichen Konkurrenten USA. Beispiele hierfür sind etwa die bereits geschlossenen bilateralen Abkommen der EU mit Chile, Mexiko oder den ASEAN-Staaten, in denen diesen Ländern teils sehr weit reichende Zugeständnisse abgerungen wurden (WEED-Broschüre).

In Zukunft will Europa nun vermehrt diesen Weg nutzen, um seine - weit über die derzeitige WTO-Agenda hinausreichenden - handelspolitischen Ziele voranzutreiben. Diese sind in dem neuen Strategiepapier der Kommission klar formuliert: es geht der EU um den umfassenden Abbau aller so genannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse, den ungehinderten Zugang zu Energie und Rohstoffen, den verschärften Schutz geistiger Eigentumsrechte transnationaler Unternehmen, die beschleunigte Öffnung von Dienstleistungsmärkten, die Liberalisierung öffentlicher Beschaffungsmärkte sowie die Durchsetzung ungehinderter Niederlassungsfreiheit - was faktisch eine umfassende Liberalisierung der Investitionsregime in Drittstaaten bedeutet. Damit kommen auch die so genannten Singapur-Themen (Investitionen, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen und Handelserleichterungen), die innerhalb der WTO 2003 gescheitert waren, wieder auf den Tisch.

Verhandelt werden diese Zielvorgaben schon heute, im Rahmen unterschiedlicher bilateraler und regionaler Prozesse. Zum einen hat die Kommission neue, sehr weitgehende Mandate für zukünftige Verhandlungen mit wirtschaftlichen Schlüsselpartnern ausgearbeitet. Im Blickpunkt standen dabei die sich dynamisch entwickelnden Schwellenländern und -regionen, die als Märkte der Zukunft gelten. Ökonomische Auswahlkriterien waren dabei das wirtschaftliche Potential, also Größe und Wachstum der Länder, sowie das Ausmaß bestehender Handelsbarrieren gegenüber der EU. Aber auch Freihandelsabkommen oder laufende Verhandlungen mit "Wettbewerbern der EU" - namentlich vor allem mit den USA - waren für die Wahl der neuen Partner ausschlaggebend. In diesem Sinne starte die EU auf Basis der von der Kommission ausgearbeiteten Mandate am 28./29. Juni 2007 Verhandlungen mit Indien und am 6. Mai 2007 mit Süd- Korea. Auch mit den ASEAN Staaten werden derzeit von einem gemeinsamen Ausschuss genaue Modalitäten und ein detaillierter Ablaufplan für in Kürze beginnende Verhandlungen erarbeitet. Weitere Verhandlungsmandate der EU liegen vor für die zentralamerikanischen Ländern und die Anden-Staaten. Neben diesen neu angestoßenen Prozessen steht eine Aktualisierung der China-, Russland- und Ukraine-Abkommen auf dem Programm. Und auch im Rahmen der Ende 2008 abzuschließenden "Economic Partnership Agreements" (EPAs) mit den AKP-Staaten (Afrika, Karibik und Pazifik) sowie im Euro-Mediteranen Prozess versucht die EU ihre neue Außenhandelsagenda voran zutreiben. Und schließlich will die Union ihrer "neoliberalen Vision eines ´Globalen Europa´" auch durch weitere Initiativen im handelspolitischen Bereich, wie etwa die Überprüfung ihrer Antidumping-Politik, näher zu kommen.

Die handelspolitische Agenda der EU hat für die betreffenden Drittstaaten und Regionen weit reichende Folgen. Mit den bereichen Investitionsliberalisierung bzw. Niederlassungsfreiheit und öffentliches Beschaffungswesen etwa, hat Europa in den bilateralen Abkommen im Alleingang Themen revitalisiert, die im Rahmen der WTO gerade am gemeinsamen Widerstand der Entwicklungsländer gescheitert waren. Außerhalb des multilateralen Forums, das zumindest Zusammenschlüsse und gemeinsame Interessenvertretung mehrerer Länder erlaubt, kann die Union ihre wirtschaftliche Stärke nun voll ausspielen. Dabei verfolgt Europa eine Linie, die auf progressive Liberalisierungen und - trotz eklatanter unterschiedlicher Ausgangsbedingungen - auf volle Reziprozität seitens der Handelspartner zielt.

Für den Bereich der Investitionen wurde zu diesem Zweck im November 2006 eine so genannte "Minimum Platform on Investment (MPoI) for EU FTAs´" verabschiedet. Dieses Rahmenprogramm für Investitionsabkommen soll allen zukünftigen FTAs (Free Trade Agreements) beigefügt werden und stellt einen Minimalkonsens zwischen den Mitgliedsstaaten der EU über den Inhalt solcher Abkommen dar. Während Fragen des Investitionsschutzes scheinbar weitestgehend dem Wirkungsbereich von bilateralen Investitionsabkommen (BITs) zwischen einzelnen EU-Ländern und Drittstaaten überlassen bleiben, forciert die MPoI in erster Linie den freien Marktzugang für europäische Unternehmen in den jeweiligen Partnerstaaten. Mit den Instrumenten der so genannten Nicht- Diskriminierungs-, Inländerbehandlungs- und die Meistbegünstigungsklauseln werden europäischen Investoren umfassende Marktzugangsrechte eingeräumt - ohne dass diese eigenständig einen Vertrag mit den jeweiligen Staaten abschließen müssten. Die Gestaltungsmöglichkeiten nationaler Wirtschaftspolitiken werden dadurch maßgeblich eingeschränkt. Vorgaben hinsichtlich der Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards, wie sie etwa die ILO-Kernarbeitsnormen darstellen, werden lediglich in der Form einer so genannten "non lowering of standards"- Klausel angesprochen. Diese verpflichtet die Vertragsstaaten, Direktinvestitionen nicht dadurch zu fördern, dass sie etwa ihre sozialen und Umweltstandards senken. Damit wird jedoch lediglich der (rechtliche und faktische) Status quo festgeschrieben. Eine Verschärfung nationaler Gesetzgebungen und damit eine Verbesserung der teils höchst prekären Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Umweltstandards wird damit weder angestrebt noch gefördert. Dabei fällt es Entwicklungs- und Schwellenländern meist ohnehin schwer, die bestehenden Regeln umzusetzen. Zudem werden mit der "non lowering of standards"- Klausel zwar die jeweiligen Staaten, nicht aber die Konzerne - als die eigentlich entscheidenden Akteure bei der aktiven Durchsetzung sozialer und ökologischer Standards - in die Pflicht genommen.

Auch im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe setzt die EU-Kommission bei der Frage von sozialer und ökologischer Beschaffung auf den "good will" der Konzerne. Europa wittert in erster Linie ein enormes wirtschaftliches Potential für seine Unternehmen. Nachhaltigkeits- und entwicklungsstrategische Fragen spielen bei der Gestaltung zukünftiger Beschaffungsmärkte aus EU-Sicht kaum eine Rolle. Dabei kann und sollte gerade dieser Bereich angesichts der enormen Mittelverausgabung für einen sozialen und ökologischen Strukturwandel in den Dienst genommen werden Denn die Größe der Beschaffungsmärkte wird schon Heute etwa auf 80 Milliarden US-Dollar in Indien, auf 40 Milliarden US-Dollar in Brasilien und auf jeweils 25 Milliarden US-Dollar in China und Russland geschätzt. Um - wie es die Kommission formuliert - "Anreize" zur Marktöffnung zu schaffen, wird im ´Global Europe`- Papier laut über gezielte Zugangsbeschränkungen für Teile des EU-Beschaffungsmarktes nachgedacht - wenn auch als allerletztes Mittel. Angesichts der Größe und bisherigen Offenheit des EU Marktes, dürften derartige Drohungen dennoch eine nicht unerhebliche Wirkung entfalten.

Europa scheint sich mehr denn je der eigenen Verwundbarkeit bewusst geworden zu sein. Die weit reichende Liberalisierungsagenda der Lissabon-Strategie hat den europäischen Markt nicht nur noch offener, sondern auch krisenanfälliger gemacht. Und so liest sich die neue Strategie der Kommission gleichsam wie eine endgültige Absage an eine entwicklungspolitisch orientierte und partnerschaftliche Handelszusammenarbeit und wie eine Hinwendung zu einer offen aggressiven Handelspolitik, die in erster Linie europäische Wettbewerbsvorteile sichern will. Die neue Außerwirtschaftagenda orientiert sich primär an den Außenhandels- und Investitionsinteressen europäischer Unternehmen. Dem Bekenntnis zum handelspolitischen Multilateralismus stehen die aktive Forcierung bilateraler Verhandlungen und eine höchst selektive Wahl der zukünftigen "Verhandlungspartner" gegenüber. Die sollen vor allem eines bieten: wirtschaftliches Potential für EU-Unternehmen. So wird der derzeitige Kurs der EU die im Welthandel ohnehin schon sehr starken Tendenzen zu undemokratischen, intransparenten und einseitig an Konzerninteressen ausgerichteten Entscheidungsprozessen und Handelsabkommen noch verstärken und den Raum für entwicklungsfreundliche und demokratische Ansätze weiter beschränken.

WEED/ Lene Kempe