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Deutsche UNO-Politik nach einem Jahr Kofi Annan

01.01.1998: Stellungnahme der Projektgruppe UNO von WEED

Kofi Annan trat vor einem Jahr das Amt des Generalsekretärs der Vereinten Nationen an. Seitdem versucht er vor allem, den Reformprozeß der Weltorganisation voranzutreiben. Dabei ist er auf die tatkräftige Unterstützung der Mitgliedstaaten angewiesen. Die Politik Deutschlands als eines der wichtigsten UN-Mitglieder - noch dazu mit Ambitionen auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat - blieb gegenüber der UNO jedoch auch 1997 widersprüchlich und ohne klare Linie. Die Projektgruppe 'UNO' von Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V. (WEED) hat die Rolle Deutschlands in zentralen Politikfeldern der Vereinten Nationen für das erste Amtsjahr Kofi Annans analysiert und skizziert Anforderungen an eine zukünftige deutsche UN-Politik. Dieser Beitrag knüpft an die Stellungnahme "10 Punkte für eine neue deutsche UN-Politik" an, die am 20.1.1995 als Dokumentation in der Frankfurter Rundschau erschienen ist.

Einführung

Der neue UN-Generalsekretär, Inhaber des "schwierigsten Job's der Welt", hat sein erstes Amtsjahr hinter sich. In diesem Jahr wollte Annan die Reformbemühungen der UNO konsolidieren, effektivieren und bündeln. Hierzu legte er am 16. Juli 1997 sein Programm zur Erneuerung der UNO vor. Es umfaßt drei Bereiche: erstens das interne Management und die Finanzierung des UN-Sekretariats, zweitens die Neustrukturierung der Haupttätigkeitsfelder der UNO sowie drittens längerfristige Reformschritte, die das gesamte UN-System betreffen. Der pragmatische Entwurf enttäuschte alle, die eine Neu-Positionierung der UNO im System internationaler Politik erwartet hatten. Nichtsdestotrotz signalisierte der Generalsekretär mit seinem Reformpapier den Willen zur Stärkung des multilateralen Systems der Vereinten Nationen. Doch wichtige Mitgliedstaaten verweigern ihm nach wie vor die hierfür notwendige politische und finanzielle Unterstützung. Insbesondere die USA lehnen es weiterhin ab, ihre Schulden in Höhe von rund 1,5 Mrd. US-Dollar zu begleichen.

Die Haltung Deutschlands zur UN-Reform ist so widersprüchlich wie die gesamte deutsche Politik in und gegenüber den Vereinten Nationen. Rhetorische Unterstützung für die Reformbemühungen und zur Schau gestellte Vorreiterschaft - etwa im Umweltbereich - stehen in scharfem Kontrast zur politischen Konturlosigkeit bis hin zur faktischen Blockiererpolitik - beispielsweise in Finanzierungsfragen. Geprägt waren die deutschen Aktivitäten in der UNO auch 1997 vom Streben nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat, während die Unterstützung der Bundesregierung für die multilaterale Entwicklungzusammenarbeit der UNO weiter abflachte. Nach wie vor dominiert in der deutschen Politik ein enges Verständnis von (vorgeblich) nationalem Eigeninteresse, das ein konsequenteres ziviles Engagement Deutschlands im UN-System bisher verhinderte.

WEED versucht mit seiner Projektgruppe 'UNO' seit einigen Jahren, auf diesen Mißstand hinzuweisen und der Debatte über die Rolle Deutschlands im System globaler Politik neue Impulse zu geben (zuletzt 1997 in dem Report "UN-williges Deutschland", erschienen in der EINE-Welt Reihe der Stiftung Entwicklung und Frieden im Verlag J.H.W. Dietz Nachf.). Mit der jetzigen Stellungnahme wird die kritische Begleitung deutscher UNO-Politik fortgesetzt. Neben den traditionellen Themen Sicherheitsrat sowie Umwelt- und Entwicklungspolitik werden im Folgenden auch die deutschen Positionen bei den Landminenverhandlungen sowie bei den Vorbereitungen für einen Internationalen Strafgerichtshof unter die Lupe genommen.

Blockade: Die Reform des Sicherheitsrats in der Sackgasse

Im Mittelpunkt deutscher UNO-Diplomatie stand auch 1997 das Ziel eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat. Die Verhandlungen über seine Erweiterung bzw. Reform sind jedoch festgefahren. Die Generalversammlung mußte eine Entscheidung zu dieser Frage Anfang Dezember 1997 verschieben, da keines der in nunmehr fünf Jahren entwickelten Modelle derzeit eine Verwirklichungschance hat - eine ernüchternde Bilanz. Rivalisierende Interessenlagen verhindern weiterhin, daß im wichtigsten und von zunehmendem Legitimätsverlust bedrohten Entscheidungsorgan der Vereinten Nationen die Weltregionen des Südens besser vertreten und das Blockadeinstrument des Vetorechts eingeschränkt wird.

Der damalige Präsident der Generalversammlung, der Malaysier Razali, hatte am 20. März 1997 mit einem detaillierten Reformvorschlag zunächst Bewegung in die Debatte gebracht. Demnach sollte die Zahl der ständigen Mitglieder auf zehn verdoppelt werden, so daß Japan, Deutschland und drei Entwicklungsländer (je ein Land aus Afrika, Lateinamerika und Asien) einen ständigen Sitz - allerdings ohne Vetorecht - erhalten würden. Außerdem sollten zu den derzeit zehn nichtständigen Mitgliedern drei Entwicklungsländer und ein Land aus Mittel- und Osteuropa hinzukommen.

Der Vorschlag konnte sich auf eine Vielzahl konsensualer Vorstellungen stützen. Doch legte Razali zugleich einen straffen Zeitplan für seine Verwirklichung vor, der nicht durchsetzbar war. Das Prozedere hätte die Ambitionen Deutschlands und Japans auf einen ständigen Sitz begünstigt, zugleich aber offen gelassen, ob und wie sich der Süden auf Regionalvertreter einigen sollte. Die Blockfreien wurden sich deshalb immer bewußter, daß sie entgegen der ursprünglichen Zielrichtung der Reform zu ihren Verlierern zählen könnten, während sich mit Frankreich, Großbritannien und Deutschland gleich drei EU-Staaten ständig im Sicherheitsrat befänden. Vor diesem Hintergrund hat die Organisation für Afrikanische Einheit gefordert, zwei ständige Sitze für Afrika einzurichten, die der Kontinent auf der Basis eines Rotationssystems vergeben würde. Derartige Vorstellungen werden von den USA abgelehnt. Sie favorisieren eine Minimallösung, bei der der Rat analog zum Razali-Modell um fünf ständige Mitglieder, aber nur um ein nichtständiges Mitglied aus Osteuropa erweitert würde. Da sich die relative Position des Südens hierbei sogar verschlechtern würde, hat aber auch dieses Modell keine Chance.

Eine pragmatische Lösung könnte der italienische Vorschlag vom Frühjahr 1997 bieten, den Rat um sechs bis zehn ausschließlich nichtständige Mitglieder ohne Vetorecht zu vergrößern. Doch steht hier erneut das drohende Veto der USA entgegen, die auf jeden Fall Deutschland und Japan im Konzert der Mächtigen haben wollen.

Daß kreative Lösungen blockiert sind, liegt auch an der deutschen Diplomatie. Sie unterschätzte die Widerstände gegen ständige neue Sitze, die sich nicht auf das vom "Abstieg in die zweite europäische Liga" bedrohte Italien beschränken, sondern beispielsweise auch von Ägypten, der Türkei und Pakistan geteilt werden. Die deutsche Diplomatie erweckte mitunter den Eindruck, im Zweifel auch ohne befriedigende Lösung für den Süden ihren Anspruch auf einen ständigen Sitz durchsetzen zu wollen. So entstand der Verdacht, durch Verfahrenstricks und ein "Hau-ruck-Verfahren" bei der Bestimmung der Sicherheitsratsmitglieder die Entscheidungen unnötig forcieren zu wollen. Selbst Entwicklungsminister Carl-Dieter Spranger sprach Anfang März 1997 von "peinlicher Drängelei". Wie wenig die Bundesregierung im Reformprozeß in der Lage ist, traditionelle Interessenpolitik hintan zu stellen, zeigt ihr Beharren auf dem Vetorecht für den angestrebten ständigen Sitz. Die Bundesregierung will hier keine Statuseinbußen gegenüber den etablierten Mächten hinnehmen. Machtpolitisches Prestigedenken verhindert aber, daß die wirklichen Probleme der Vereinten Nationen angegangen werden. Hier vermißt man vorwärtsweisende deutsche Initiativen - von einem friedenspolitischen Profil im Sinne einer "Zivilmacht" ganz zu schweigen.

Daß die Überwindung von politischem Stillstand prinzipiell möglich ist, zeigt das Beispiel der Ächtung von Anti-Personen Minen. Hier gab es 1997 endlich Fortschritte, nachdem zwischenzeitlich jegliche Verhandlungen blockiert waren.

Landminen: Abrüstungserfolg mit bitterem Beigeschmack

Bei der heute dominierenden Form von Kriegen spielen nicht Massenvernichtungswaffen oder Großwaffen, sondern "Kleinwaffen" die Hauptrolle. Die Abrüstungsbemühungen im Rahmen der UNO konzentrierten sich deshalb in den letzten Jahren auf Landminen, die gerade unter der Zivilbevölkerung viele Leiden verursachen. Zudem ist die Minenräumung teuer und langwierig, was den Wiederaufbau nach einem Kriegsende stark behindert.

1980 wurde das UN-Waffenübereinkommen unterzeichnet, dessen "Minenprotokoll" den Einsatz von Landminen gegen Zivilisten verbietet. Frankreich beantragte 1993 eine Überprüfungskonferenz des UN-Waffenübereinkommens, die 1994 bis 1996 in Wien bzw. Genf stattfand. Die Teilnehmerstaaten konnten sich dort aber nur auf ein Verbot primitiver Anti-Personen(AP)-Minen einigen, die schwer detektierbar sind oder keinen Selbstzerstörungsmechanismus besitzen.

Auf Initiative Kanadas und der bereits 1992 gegründeten "Internationalen Kampagne zur Ächtung der Landminen" traten im Oktober 1996 diejenigen Staaten - darunter Deutschland - erneut zusammen, die mit dem revidierten Minenprotokoll nicht zufrieden waren und sich für eine vollständige Ächtung der AP-Minen einsetzten. Dieser Verhandlungsprozeß fand bewußt außerhalb der üblichen UN-Prozeduren statt, um Blockademöglichkeiten einzelner Staaten auszuschließen. Nach mehreren Verhandlungsrunden konnten die etwa 100 beteiligten Staaten am 3. und 4. Dezember 1997 in Ottawa einen Vertrag zum vollständigen Verbot von Einsatz, Lagerung, Herstellung und Transfer von AP-Minen und zur Zerstörung der vorhandenen Bestände, verbunden mit einem Verifikationsregime, unterzeichnen.

Anzuerkennen ist, daß sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen für eine vollständige Ächtung der AP-Minen einsetzte. Sie gab bereits im April 1996, ähnlich wie andere Staaten auch, einen unilateralen Verzicht auf AP-Minen bekannt und kündigte damals die Vernichtung der vorhandenen Bestände der Bundeswehr (bis Ende 1997) an.

Die deutsche Minenpolitik hinterläßt trotzdem einen bitteren Beigeschmack, denn die Bundesregierung setzte bei den Verhandlungen eine Modifizierung der AP-Minen-Definition durch, die den Interessen der eigenen Rüstungsindustrie entgegenkam. Demzufolge fallen Landminentypen, die von ihrer Konstruktion her nicht "hauptsächlich" von Personen ausgelöst werden, nicht unter das Abkommen. Durch die Redefinition sind gerade die in Deutschland produzierten Anti-Panzer-Minen ausgeklammert geblieben, obwohl auch sie AP-Eigenschaften besitzen und absichtlich gegen zivile Ziele eingesetzt werden können. Der bittere Beigeschmack verstärkt sich noch angesichts des krassen Mißverhältnisses zwischen den dreistelligen Millionenbeträgen, die die Bundeswehr jährlich für die Forschung, Entwicklung und Beschaffung von Minen ausgibt, und dem kleinen Etat des Auswärtigen Amtes für die zivile Minenräumung. Hier hat aber immerhin der Bundestag ein Zeichen gesetzt, indem er im Etat für 1998 den von der Bundesregierung vorgesehenen Betrag von 3 Millionen auf 18 Millionen DM erhöhte.

Letztlich bleibt der Druck der Öffentlichkeit auf die nationalen Regierungen entscheidend für weitere Abrüstungsbemühungen im Rahmen der UN. Dies hat auch das Nobelpreis-Komitee anerkannt, das der internationalen Kampagne zur Ächtung der Landminen 1997 den Friedensnobelpreis verlieh. Ziel weiterer Bemühungen muß es sein, die Ächtung aller Landminen zu erreichen, wie es jüngst auch Außenminister Kinkel bei der Unterzeichnung in Ottawa ankündigte. Dazu muß er sich allerdings gegenüber der deutschen Rüstungslobby und dem Verteidigungsminister energischer durchsetzen. Denn trotz aller hehren Worte hat die Erhaltung nationaler militärischer und rüstungswirtschaftlicher Optionen für die Bundesregierung nach wie vor Vorrang vor einer humanitären Friedenspolitik im Rahmen der UNO.

Während die Landminenproblematik 1997 große öffentliche Aufmerksamkeit erfahren hat, wurde weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit mit den Verhandlungen zur Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes ein neues Kapitel des internationalen Völkerrechts vorbereitet.

Internationaler Strafgerichtshof: Zwischen Hoffnung und eingebauten Enttäuschungen

Die UN-Generalversammlung beschloß am 16. November 1996 internationale Verhandlungen einzusetzen, die die Einrichtung eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes (International Criminal Court - ICC) vorbereiten sollen. 50 Jahre nach den Tribunalen von Nürnberg und Tokio und vor dem Hintergrund der vom Sicherheitsrat eingesetzen Ad Hoc-Gerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien (Den Haag) und Ruanda (Aruscha) ist damit der entscheidende Schritt für eine weltweite effektive Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen in Aussicht gestellt.

Auf drei von insgesamt vier Vorbereitungstreffen konnten 1997 in einer Reihe von wichtigen Punkten bereits konsolidierte Textentwürfe für ein Statut des ICC erarbeitet werden. Das Statut soll die Zuständigkeiten, die Verfahrensordnung und das materiell vom Gericht anzuwendende Strafrecht im einzelnen regeln. Die Verhandlungen über das Strafverfahrensrecht und die allgemeinen Rechtsprinzipien (vergleichbar mit dem "Allgemeinen Teil" des deutschen Strafgesetzbuchs) sind so gut wie abgeschlossen. Auch in bezug auf die grundsätzliche Zuständigkeit des Gerichts für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord sowie die Definition dieser Delikte besteht Einigkeit. Schließlich konnte Konsens über das Prinzip der Komplementarität von nationaler und internationaler Strafjustiz erzielt werden. Demnach soll der ICC dann zuständig sein, wenn er feststellt, daß der betroffene Staat zu einer effektiven Strafverfolgung nicht willens oder in der Lage ist.

Umstritten sind hingegen fast alle Bereiche, die die Unabhängigkeit des Gerichtes von staatlicher und überstaatlicher Einflußnahme betreffen. Diese ist aber als Grundbedingung für ein politisch unabhängiges Gericht unbedingt zu fordern. Der Streit entzündet sich z.B. an der Frage, ob nach der Ratifikation des ICC-Statuts eine gesonderte Unterwerfungserklärung der Staaten für bestimmte Delikte, Zeiträume oder einzelne Verfahren notwendig sei oder ob vom Prinzip der "inhärenten Jurisdiktion" ausgegangen werden soll, nach dem sich die Staaten mit der Ratifikation des Statuts auch automatisch dessen Gerichtsbarkeit unterwerfen. Weiterhin konnte keine Übereinkunft über die Befugnis des Gerichtes zur Ermittlung aus eigenem Antrieb erzielt werden, und auch das zukünftige Verhältnis zwischen Sicherheitsrat und ICC ist ungeklärt. Schließlich bestehen insbesondere bei Staaten, die ihr Militär für internationale Einsätze bereithalten, noch Vorbehalte gegen die Einbeziehung von Kriegsverbrechen und des Verbrechens des Angriffskrieges in die Zuständigkeit des Gerichts. Diese politisch besonders heiklen Fragen können wohl erst im Rahmen der abschließenden Konferenz im Juni 1998 geklärt werden.

Insgesamt läßt sich aber bereits heute als Erfolg festhalten, daß die Staaten sich im Prinzip über die Errichtung des ICC einig sind und es daher aller Voraussicht nach zur Verabschiedung seines Statuts kommen wird. Unklar ist dagegen, ob dieser ICC tatsächlich ein neues, funktionsfähiges System internationaler unabhängiger Strafgerichtsbarkeit begründet oder nicht mehr als eine politische Alibi-Einrichtung darstellen wird.

Deutschland gehört zu den Mitbegründern einer Gruppe von etwa 40 "like-minded states", die engagiert und konstruktiv für einen starken und unabhängigen ICC eintreten. Als besondere Leistung sind die deutschen Vermittlungversuche bei der Diskussion um die Einbeziehung von Kriegsverbrechen und Angriffskriegen anzuerkennen. Obwohl noch nicht unmittelbar von Erfolg gekrönt, versuchte die deutsche Delegation durch kompetente eigene Textentwürfe, spezielle internationale Zusammenkünfte in Bonn und nicht zuletzt durch intensives Werben im Kreise der Teilnehmerstaaten in New York beständig, eine Mehrheit für die grundsätzliche Zuständigkeit des ICC für diese Delikte sowie deren Definition zu erreichen.

In Deutschland selbst stießen die ICC-Verhandlungen bisher auf wenig politische Resonanz. Bei einer Veranstaltung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen im Juli 1997 wurde auf ein wichtiges Versäumnis deutscher Innenpolitik aufmerksam gemacht. Aufgrund der Schutzklausel des Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz (Auslieferungsverbot) wäre Deutschland nicht imstande, deutsche Staatsangehörige für die Anklage an ein internationales Gericht zu überstellen. Bereits heute könnte es einem entsprechendem Gesuch der Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda nicht nachkommen. Gleiches würde auch gegenüber dem ICC gelten. Dies steht im Widerspruch zu Deutschlands Engagement für den ICC und ist als unerledigte Hausaufgabe des deutschen Verfassungsgebers anzusehen.

Im Vergleich zu diesem Versäumnis bestehen im Bereich der Umwelt- und Entwicklungspolitik allerdings weit eklatantere Widersprüche zwischen nationalem Handeln und internationaler Rhetorik.

Glaubwürdigkeitslücke in der Umwelt- und Entwicklungspolitik

Im Zentrum internationaler Umwelt- und Entwicklungspolitik standen 1997 zwei Großereignisse: Die Sondertagung der UN-Generalversammlung über Umwelt und Entwicklung im Juni und die dritte Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention im Dezember. Politische Fortschritte blieben sowohl in New York wie in Kyoto aus. Ergebnis der Sondergeneralversammlung ist ein wortreiches "Programm zur weiteren Umsetzung der Agenda 21", das über vage Absichtserklärungen hinaus wenig Konkretes bietet. In ihm spiegelt sich die schon traditionelle Nord-Süd-Blockade der internationalen Umwelt- und Entwicklungsdiplomatie wider. Während die Industrieländer sich beharrlich weigerten, beim Finanz- und Technologietransfer von ihrer Politik der leeren Hände abzurücken, stellten sich die Entwicklungsländer im Gegenzug taub, wo immer es um umweltpolitische Fortschritte ging. Über eine institutionelle Stärkung der UNO in diesem Bereich konnten die Regierungen keinen Konsens erzielen. Fast noch schlimmer kam es bei der Weltklimakonferenz in Kyoto. Dort war es die US-Regierung, die nicht zuletzt auf Druck ihrer Öl- und Automobillobby jede Verpflichtung zu einer substantiellen Reduktion der Treibhausgase blockierte. Erst in letzter Minute konnte ein Minimalkonsens erzielt werden. Ob selbst dieser vom US-Kongreß ratifiziert wird, muß nach den ersten Reaktionen bezweifelt werden.

Um dem schleichenden Bedeutungsverlust der UNO im Umweltbereich entgegenzuwirken, unterbreitete Kofi Annan in seinem Reformprogramm vom Juli 1997 Überlegungen zur Stärkung des UN-Umweltprogramms (UNEP). Mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Maßnahmenbündels soll der neue UNEP-Exekutivdirektor Klaus Töpfer beauftragt werden. Der ehemalige Bundesumweltminister kann sich bei dieser Aufgabe auf die zumindest verbale Rückendeckung der Bundesregierung berufen, denn Bundeskanzler Kohl selbst hatte sich bei seiner ersten Rede vor der UNO in New York im Juni 1997 für die Gründung einer "globalen Dachorganisation für Umweltfragen" mit UNEP als Hauptpfeiler ausgesprochen und sogar die Aufnahme von Umweltzielen in die UN-Charta gefordert.

Angesichts des niedrigen Konsensniveaus fiel es den deutschen Vertretern nicht schwer, sich in New York und Kyoto einmal mehr als umweltpolitische Vorreiter zu präsentieren. In der globalen Klimaschutzpolitik spielen sie zweifellos diese positive Rolle, und auch Kohls Initiative bei der Sondergeneralversammlung ist generell unterstützenswert. Die Glaubwürdigkeit dieser Politik leidet jedoch weiterhin unter der mangelnden Kohärenz mit anderen Politikbereichen. So hat die Bundesregierung bei der Sondergeneralversammlung jede Verpflichtung zur Bereitstellung der notwendigen Finanzmittel für nachhaltige Entwicklung blockiert. In der Welthandelsorganisation (WTO) und bei den Verhandlungen über das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) im Rahmen der OECD weigert sie sich kategorisch, ökologische und soziale Ziele gleichberechtigt neben ökonomischen Zielen zu berücksichtigen. Am offensichtlichsten ist die Diskrepanz zu den auf internationalem Parkett vertretenen Nachhaltigkeitszielen bei der deutschen Verkehrs- und Energiepolitik. Die Ausarbeitung einer nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung, zu der sich die Staaten im Abschlußdokument der Sondergeneralversammlung bis zum Jahre 2002 verpflichten, lehnt die Bundesregierung weiterhin ab.

Um Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen, muß die Bundesregierung im Bereich internationaler Umwelt- und Entwicklungspolitik die Reformanstrengungen durch eigene Initiativen mit dem Ziel vorantreiben, die politische Handlungsfähigkeit der UNO zu stärken - auch und gerade gegenüber den Wirtschafts- und Finanzinstitutionen Weltbank, IWF, WTO und OECD. Sie muß entschieden dafür eintreten, daß die im Rahmen der UNO formulierten sozialen und ökologischen Ziele nicht durch die außerhalb der UNO verhandelten wirtschafts- und finanzpolitischen Übereinkommen - wie das MAI - konterkariert werden. Schließlich muß die Bundesregierung sich von der Nullwachstumsdoktrin für den UN-Haushalt lösen und die notwendigen Finanzmittel zur Umsetzung der Rio-Verpflichtungen bereitstellen. Dies betrifft neben der Globalen Umweltfazilität (GEF) und dem UN-Umweltprogramm (UNEP) vor allem auch das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP).

Abschied von UNDP?

Bei wohl keiner Institution des UN-Systems ist die Diskrepanz zwischen der rhetorischen Wertschätzung und der mangelnden Unterstützung durch die Mitgliedsstaaten größer als bei UNDP. In der "Agenda für Entwicklung", die von der Generalversammlung im Juni 1997 im Konsens (d.h. auch mit der Stimme Deutschlands) verabschiedet wurde, heißt es: "Die Fonds und Programme der Vereinten Nationen sind wichtige Mittel zur Förderung der Entwicklungszusammenarbeit." Notwendig sei allerdings eine "substantielle Erhöhung der Ressourcen" auf einer "voraussagbaren, dauerhaften und sicheren Grundlage". Um diese zu gewährleisten, schlug Kofi Annan in seinem Reformprogramm im Juli 1997 vor, anstelle der jährlichen Wiederauffüllungsrunden für die Entwicklungsfonds eine bessere Vorhersehbarkeit der Finanzierung durch mehrjährig ausgehandelte Beitragszusagen zu erreichen. Was für die Projektplanung jeder Entwicklungsinstitution eigentlich unerläßlich ist, mochten die Regierungen der UNO bisher jedoch nicht zugestehen. Vertreter der Bundesregierung argumentierten gegen mehrjährige Beitragszusagen mit den Restriktionen des deutschen Haushaltsrechts.

Hinzu kommt, daß die Beiträge zu den UN-Fonds seit Jahren stagnieren oder gar rückläufig sind. UNDP mußte 1996 und 1997 Einbußen von jeweils 9 Prozent in Kauf nehmen und rechnet für 1998 mit weiteren Beitragsrückgängen. UNDP-Administrator Gus Speth warnte bei der jüngsten Auffüllungsrunde im November 1997 davor, daß die Kürzungen die Armen am härtesten träfen und falsche Signale über die Bedeutung der UN-Entwicklungsinstitutionen setzten.

Die Bundesregierung spielt dabei eine fatale Vorreiterrolle. Zwar hatte Bundesaußenminister Kinkel noch im September 1997 bei seiner Rede vor der Generalversammlung vollmundig erklärt: "Die Programme und Fonds der UNO [...] verfügen über 4,6 Mrd. Dollar pro Jahr für wirtschaftliche und soziale Hilfe. Das sind etwa 80 Cents pro Erdbewohner. Die Regierungen dieser Welt gaben 1994 aber ca. 767 Mrd. Dollar für Rüstung aus - etwa 134 Dollar pro Erdbewohner. Dieses Mißverhältnis kann und darf so nicht bleiben! Wir alle müssen über den Horizont unserer nationalen Interesssen hinausfinden! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, und wir dürfen nicht nur hierherkommen, reden, zuhören und dann wieder ein Jahr lang alles beim alten belassen." Aber die Bundesregierung tat nicht nur genau dies, sondern kürzte kurz darauf ihre Mittel für UNDP drastisch. Nachdem sie ihre Beitragszahlungen bereits zwischen 1993 und 1997 von 138 Mio. auf 120 Mio. DM reduziert hatte, sah sie für 1998 gerade noch 90 Mio. DM vor. Durch den hohen Dollarkurs bedeutete dies innerhalb von nur zwei Jahren einen faktischen Rückgang der deutschen Zahlungen an UNDP um rund 50 Prozent. Erst infolge von Interventionen durch Nichtregierungsorganisationen und UNDP selbst legte der Bundestag den Beitrag für 1998 auf 100 Mio. DM fest.

Vor diesem Hintergrund haben die Beteuerungen des deutschen Außenministers vor der UNO erheblich an Glaubwürdigkeit verloren. Würde die deutsche Politik es mit ihrer Unterstützung für die Entwicklungszusammenarbeit der UNO ernst meinen, müßten die Finanzbeiträge nicht nur stabilisiert, sondern entsprechend den Anforderungen an UNDP erheblich aufgestockt werden. Dies könnte auch durch eine Umschichtung innerhalb der Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geschehen. Notwendig wäre dazu, das ungerechtfertigte und willkürlich gesetzte 30-Prozent-Limit für den Anteil multilateraler Entwicklungsfinanzierung am BMZ-Haushalt zu beseitigen. Als Grundlage dafür steht weiterhin die Formulierung eines politischen Gesamtkonzeptes für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik aus.

Fazit

In den Köpfen von vielen politischen Entscheidungsträgern und von Teilen der Bevölkerung hat sich zunehmend der Eindruck verfestigt, daß die UNO mit schweren Aufgaben überfordert sei. Der Chor derjenigen, die die Aktivitäten der UNO auf das "Machbare" reduzieren wollen, wird immer lauter. Dies hat zur Folge, daß wichtige politische und wirtschaftliche Aufgaben aus der UN ausgelagert bzw. wie schon in der Vergangenheit in anderen internationalen Strukturen bearbeitet werden. Diese Entwicklung ist ambivalent: Einerseits eröffnet das Auslagern eines Verhandlungsprozesses zuweilen ein schnelleres und weitreichenderes Verhandlungsergebnis, wie es das Beispiel der Landminen zeigt. Anderseits wird der Handlungsspielraum der UNO für die Ausgestaltung einer gerechteren und ökologisch verträglicheren Weltinnenpolitik vermindert, und die Autorität der Weltorganisation nimmt ab.

Annan hat mit seinem Reformpaket versucht, den Radius des "Machbaren" ein wenig zu vergrößern. Ob seine Abkehr von radikaleren Reformvorstellungen zu dem erhofften Zugewinn an Image und Handlungsspielraum führen wird, ist allerdings fraglich. Denn nach wie vor verhindern vor allem die Partikularinteressen des wichtigsten UN-Mitglieds, der USA, jede substantielle Stärkung der Weltorganisationen. Aber auch Deutschland kommt bei der Realisierung der Reformen eine Schlüsselrolle zu. Als drittgrößter Beitragszahler und Anwärter auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat steht es besonders in der Pflicht, die Vereinten Nationen aktiv zu stärken. Wie gezeigt wurde, erfüllt die deutsche Diplomatie diese Aufgabe nur unzureichend. Bei allem positivem Handeln im Detail geht es der deutschen UN-Politik allzu oft um die Durchsetzung kurzfristiger und dabei kurzsichtiger Wirtschafts- und Machtinteressen auf Kosten der Sicherung nachhaltiger und sozial akzeptabler Lebensverhältnisse auf der Welt. Notwendig wäre das politische Planen in längeren Zeithorizonten, ausgerichtet auf eine zukunftsfähige Weltgesellschaft. Als ersten Schritt dorthin bleibt die Bundesregierung aufgefordert, die eingeleiteten Reformbemühungen von Kofi Annan aktiv zu unterstützen und weiterzuentwickeln, damit die UNO nicht auf das vermeintlich "Machbare" reduziert bleibt, sondern endlich das "Notwendige" in Angriff nehmen kann.


Verfaßt haben dieses Positionspapier Tanja Brühl, Tobias Debiel, Stefan Engstfeld, Hartwig Hummel, Jens Martens, Dorothee Starck und Heiko Thomas.