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EU-Handelspolitik: Gipfel beschließt Demokratieverlust

22.06.2004: Die neue EU-Verfassung - ein weiterer Schritt hin zu weniger Demokratie und mehr Zentralismus in der Gemeinsamen Handelspolitik

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich am 17./18. Juni in Brüssel auf eine neue Verfassung geeinigt. Damit soll die Europäische Union auch demokratischer werden. Bei der Ausgestaltung der Gemeinsamen Handelspolitik ist jedoch das Gegenteil der Fall: Die Verfassung stärkt die Handlungsfähigkeit der EU-Kommission in den internationalen Handelsrunden - auf Kosten der demokratischen Kontrolle und Legitimation und der Rechte nationaler Parlamente.

Diese Grundtendenz war in noch stärkerer Ausprägung bereits im Verfassungsentwurf des Konvents von Juli 2003 erkennbar (vgl. Artikel von Markus Krajewski): In der neuen Verfassung ist nun:

  • ...die EU für alle Aspekte der Gemeinsamen Handelspolitik alleine zuständig. Das heißt: Handelsabkommen werden nicht mehr von nationalen Parlamenten ratifiziert.
  • ...die Rolle des Europäischen Parlaments gestärkt: Es muss allen zukünftigen Handelsabkommen am Ende zustimmen.
  • ...die Aufnahme von Verhandlungen und die Annahme eines Handelsabkommen in fast allen Bereichen mit qualifizierter Mehrheitsentscheidung möglich.

Strittig war bei der Regierungskonferenz bis zuletzt der dritte Punkt. Das Problem: Per Mehrheitsentscheidung könnten die EU-Mitgliedstaaten schließlich auch Abkommen annehmen, die sensible Bereiche wie Gesundheitsfürsorge oder Bildungswesen für den weltweiten Wettbewerb öffnen. Staaten, die in der EU ein solches Abkommen ablehnen, wären dann trotzdem zur Umsetzung verpflichtet.

Angesichts des möglichen Mehrheitszwangs hat die Regierungskonferenz Artikel 217 der Verfassung ergänzt und Einschränkungen des Mehrheitsprinzips vorgenommen:

  • Liberalisierungsabkommen zu ausländischen Direktinvestitionen sowie zum Handel mit Dienstleistungen können nur bei Einstimmigkeit im Rat der Regierungsvertreter ausgehandelt und angenommen werden. Zuvor galt das Einstimmigkeitsprinzip nur bei Dienstleistungsabkommen, die den Grenzüberschritt von Personen beinhalten. Eine Hintertür bleibt jedoch: Die Einstimmigkeit gilt nur dann, wenn sie auch für die Annahme EU-interner Gesetzgebung nötig wäre. Das macht die Vorschrift extrem undurchsichtig.
  • Liberalisierungsabkommen zu Dienstleistungen in den Bereichen Soziales, Bildung und Gesundheit sollen nach Einstimmigkeitsprinzip verhandelt und angenommen werden, wenn sie die nationale Bereitstellung solcher Dienstleistungen ernstlich bedrohen. Diese Formulierung ist offen für Interpretationen und bietet daher nur eine vagen Schutz davor, solche Abkommen umsetzen zu müssen.

Unabhängig von den Abstimmungsmodalitäten bleibt das Demokratie-Defizit in der Gemeinsamen Handelspolitik der EU jedoch bestehen. Die demokratische Kontrolle durch nationale Parlamente ist unter der neuen Verfassung faktisch abgeschafft. Die Aufwertung des Europäischen Parlaments bei der Entscheidung über EU-Handelsabkommen ist zwar zu begrüßen, aber als Ersatz für nationale Gesetzgebung nicht ausreichend. Gerade angesichts des mangelnden öffentlichen Interesses, das jüngst bei der Europawahl deutlich wurde, kann sie den Einflussverlust von 25 nationalen Parlamenten und der kritischen Zivilgesellschaft nicht ausgleichen. Wirtschafts- und sozialpolitisch hochbrisante Abkommen zur Liberalisierung von sozialen Grunddiensten und ausländischen Direktinvestition drohen in Zukunft also unter Ausschluss der nationalen Öffentlichkeit in Brüssel durchgewinkt zu werden. Die Verfassung treibt so die Zentralisierung der EU-Handelspolitik voran.

Für Nachfragen: Nikolai Fichtner

Weitere Informationen:
WEED-Pressemitteilung vom 27.11.2003
Artikel von Markus Krajewski vom 19.10.2003